Was der Herr Keiner nicht verstehen will.

„Ein Volk kann sich abfinden mit der vorgefundenen Herrschaft, aber es hat nicht die Kompetenz, diese in Auftrag zu geben. Es darf das Personal der Herrschaft wählen, hat aber nicht die Frage zu entscheiden, ob es eine Herrschaft geben soll oder nicht."

Das Verhältnis von Volk und Herrschaft kann man nicht dadurch klären, indem man auf die Kompetenzen schaut. Die Kompetenzen zwischen Staat und Volk sind auf eine bestimmte Weise verteilt. Um den Grund dieser Verteilung zu erfahren, kann man nicht die Verteilung der Kompetenzen selbst anführen. Das ist eine Tautologie. Dass ein Volk eine Kompetenz nicht hat, d.h. im Prozedere zwischen Staat und Volk etwas nicht vorgesehen ist, klärt also gar nichts, sondern wiederholt bloß den existierenden Zustand. Merkwürdig ist auch, dass sich ein Volk abfinden können soll, aber nicht abfinden, bzw. die Herrschaft stürzen, was faktisch dem "Auftrag geben" gleichkommt, soll nicht gehen. Wenn sich ein Volk mit seiner Herrschaft abfinden kann, kann es sich auch nicht abfinden.


Angenommen das Volk könnte darüber entscheiden, ob oder welcher Art Herrschaft es haben will. Was sollte es der Herrschaft dann nützen ein entsprechendes Verbot oder eine Erlaubnis bzw. Kompetenz auszusprechen? Wäre das Volk in der Lage die Herrschaft abzusetzen, würden der Herrschaft alle Verbote nichts bringen und dem Volk wären alle nicht erteilten Kompetenzen einfach egal. Umgekehrt, wenn die Herrschaft auf irgend eine Weise auf dem Willen des Volkes beruht, die Herrschaft also eine bestimmte dazu passende ist, warum sollte sie die Möglichkeit zu staatlichen Alternativen vorsehen, die das Volk gar nicht erwägt.

Der ganze Gedanke nach einer staatlichen Erlaubnis des Systemwechsels zu fahnden, und damit zu begründen, dass das Volk nichts zu melden hat, ist eine einzige Schnapsidee. Sie unterstellt einen Volkswillen, den es nicht gibt und ein Staat der kein bestimmter ist, d.h. nicht der Staat einer bestimmten Gesellschaft ist. Es unterstellt einen Staat, der seine Gesellschaft und sein Volk bestimmt, ohne dass die Bestimmungen des Staates aus seiner Gesellschaft kommen würden.

"Denn das Volk ist in Wahrheit das Erzeugnis der Herrschaft, welche die Menschen in ihrem Machtbereich zu einem Kollektiv von Untertanen, als ihr Volk, zusammenschließt." Es erklärt nichts, wer wessen Erzeugnis ist. Beides stimmt irgendwie. Das Verhältnis beider ist nicht zu ermitteln, wenn man alles auf die Erkenntnis eindampft, dass das eine das andere erzeugt. Um sich ein Volkskollektiv formen zu können, muss der Staat sich schon auf eine Machtbasis im Volk stützen können, sonst gibt es statt einem Volkskollektiv Bürgerkrieg, dessen Resultat ungewiss für den Staat ist.

„Es wird wie in allen anderen Herrschaftsformen über das Volk geherrscht, in einer Demokratie mit ausdrücklicher Zustimmung der Beherrschten." Auch in anderen Gesellschaften wird mit Zustimmung der Beherrschten regiert, sonst reicht ein Anschlag und der Aufstand ist da. Die ausdrückliche Zustimmung ist freilich eine Besonderheit der Demokratie.

"Ob man es einmal mit anderen gesellschaftlichen Verhältnissen versuchen sollte, mit Verhältnissen, die so gut sind, dass sie keiner Herrschaft mehr bedürfen? Diese Frage wird dem Volk wohlweislich nicht zur Abstimmung vorgelegt." Siehe Oben. Würde man das Volk ernsthaft fragen, ob es Eigentum und Demokratie will oder was anderes, würde es natürlich Eigentum und Demokratie nehmen. Die Systemfrage wird also überhaupt nicht absichtlich vermieden ("wohlweislich"). Sie wird nicht gestellt, weil sie entschieden ist und auch wenn sie gestellt würde nicht anders entschieden werden würde. Auf dieser Einigkeit des Volkes beruht die demokratische Wahl. Warum sonst sollte sich eine Minderheit einer Mehrheit unterordnen, wenn es nicht um eine gemeinsame Sache gehen würde? Wenn umgekehrt das Volk von sich aus die Systemfrage stellt, dann helfen keine Verbote oder Erlaubnisse der Herrschaft mehr. Dann wird sie zu dem Zweck gestellt, sie anders und gegen die Herrschaft zu entscheiden. Darum gibt es die Systemfrage nirgendwo auf der Welt formell. Wenn das Volk seine bisherige Herrschaft will, braucht es die Frage nicht, wenn das Volk die Herrschaft nicht will, dann nützt kein Verbot mehr was.

Wenn man argumentieren würde, dass sich ein Volk, das sich gegen seine Herrschaft wendet, nicht mehr das Volk der Herrschaft ist, dann wäre es eine Tautologie zu der Erkenntnis zu kommen, dass es als Volk nichts zu sagen hat. Zweitens wäre es falsch, weil es ja was zu sagen hat, nämlich, dass es f ü r seine Herrschaft ist. Insofern hat es gar keine Differenz zu seiner Herrschaft, die in der Aussage "es hätte nichts [oppositionelles] zu sagen", unterstellt ist. Die Kritik am Volk lautet also, dass es nicht darf, was es eh nicht will - nämlich ein anderes System wählen. Das Volk darf also nicht was der Kritiker von ihm will, dass es soll - was natürlich ein wirklich krasse Einschränkung seiner Freiheit bedeutet, wie der Herr Keiner meint: "Mehr Freiheit steht für ein Volk nicht zur Wahl."