Wie wär's denn mit der Aufhebung des Staates durch zivilen Ungehorsam, statt dem "Erhalt des Sozialstaates durch zivilen Ungehorsam". Was ist denn am Sozialstaat so toll, dass man ihn auch noch erhalten sollte? Der Sozialstaat verwaltet die Überflüssigen und Armen, sorgt dafür, dass sie sich nicht störend bemerkbar machen. Jetzt soll man sich mit zivilem Ungehorsam störend bemerkbar machen, damit es den Sozialstaat weiterhin gibt und er seine Funktion die Armen zu befrieden bzw. sie zu kontrollieren, weiter erfüllen kann. Das weist schon auf einen handfesten Sozialstaatsidealismus hin, dem man Leistungen zuspricht, für die er gar nicht da ist.

"Ganz legal verursachen diese Geschäfte Öko-Katastrophen. Sie entscheiden über Hunger in der Welt, über Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot. Sie verhindern den schnellen Wechsel zu erneuerbaren Energien." Na was denn sonst, möchte man fragen. Schließlich setzt das Gesetz den Schutz des Eigentums durch und das hat schon immer den Hunger in der Welt verursacht, die Natur zerstört, sinnlos Energie verbraten, solange sie günstig ist usw.

"Die Manager hätten deshalb die Macht über die Staaten." Jaja, die armen Staaten werden von den Managern erpresst und genötigt. Das stimmt eben nicht. Die Staaten sind von ihrem Begriff her schon gar nichts anderes als die notwendigen Gewalten ihrer kapitalistischen Gesellschaften. Deshalb wollen sie es den Managern immer recht machen und nicht weil die Manager sie in der Hand hätten.

"„Sie senkte den Steuersatz für Veräußerungsgewinne auf NULL.“ Das sei einem Milliardengeschenk an Großbanken und Versicherungskonzernen gleichgekommen. Das Geld sei nicht in Jobs geflossen." Es stimmt schon, dass sich der Staat bei den Klassen unterschiedlich bedient und eine Klasse entlastet zu ungunsten einer anderen. Kann man sich ruhig mal merken. Andererseits kommt es auf diese sachliche Feststellung im Buch gar nicht an. Stattdessen wird so getan, als sei es die Aufgabe des Geldes Jobs zu schaffen. Das hat noch nie gestimmt, was man an ganz normalen Entlassungen, die Kosten abbauen sollen, studieren kann.

"Zur Erhaltung dieses Sozialstaates fordert Bruhn eine „Globalisierung von unten“ (Pierre Bourdieu), beispielsweise eine Europäische Sozialunion. Sie soll durch eine Zivilgesellschaft entstehen, die das System demaskiert und ihm ein alternatives demokratisches Gesellschaftsmodell, basierend auf einer gemeinwohlorientierten Wirtschaft, entgegensetzt." Eine "gemeinwohlorientierte Wirtschaft", was soll denn das sein? Allgemeiner gehts ja schon nicht mehr. Will er überhaupt sagen, wie sich dieses Gebilde von einer "sozialen Marktwirtschft" unterscheiden soll. Oder soll bloß einmal wieder der Idealismus genährt werden, wenn man nur das viele Geld anders verteilen würde, könnte man es sich im Kapitalismus doch ganz kuschelig einrichten. So jedenfalls klingen seine Vorschläge. Besteuerung der Reichen 20% (20% sind nicht reich, das sind höchstens 3%) zur Einrichtung eines dritten Arbeitsmarkts, dessen Aufgabe es ist, alle Schäden zu korrigieren, die das Kapital im ersten Arbeitsmarkt anrichtet. "In ihm wirke die entlohnte „Überschussgesellschaft“, etwa in der Alten- und Krankenpflege, Erziehung, Umweltschutz, Jugendbetreuung oder in einer vergesellschafteten, dezentralen Energieversorgung." q.e.d.

"Die Spekulationsabteilungen der Großbanken und Versicherungskonzerne (Investmentbanking) müssten zerschlagen, das Spekulieren mit Staatsanleihen verboten werden." Aber die Banken soll es natürlich weiterhin geben. Was ist denn ein Kredit anderes als eine Spekulation auf die Verwertung der ursprünglichen Kapitalsumme? Denn man weiß ja nicht, ob aus dem Geschäft, das mit dem geliehenen Kapital gemacht werden soll, wirklich etwas wird.

"Widersprüchlich und trotzdem lesenswert....Dennoch ist Bruhns Buch absolut lesenswert. Die Chronik des Turbokapitalismus, die auch für Laien verständlichen Erklärungen der Finanzgeschäfte und die Aufklärung über Möglichkeiten erneuerbarer Energien sollten für alle, die nach Alternativen suchen, Pflichtlektüre sein." Mit anderen Worten: Lauter falsche Schlüsse, ein staatsbürgerlicher Idealismus, ein Widerspruch jagt den nächsten, aber einige Dinge werden sachlich richtig beschrieben. "lowered expectations" Sehr geringe Ansprüche hat der Rezensent. Wenn man sich durch seitenweise Unsinn quälen muss, um auch mal etwas richtiges (vorausgesetzt es ist tatsächlich richtig) zu lesen, ist m.E. das keine Empfehlung für ein Buch.

Um die Ansprüche der Rezensentin zu beurteilen, muss ich das Buch nicht gelesen haben. Ihre Rezension gelesen zu haben reicht. Wenn der ganze Text zu 90% über die ganzen Fehler geht, die der Buchautor macht und die Rezensentin dann zum Schluss in einem Satz am Buch drei Dinge hochhält, dann sind meinem Eindruck nach ihre Ansprüche nicht besonders hoch, wenn sie das Buch deswegen gut bzw. kaufenswert findet. Hätte sie geschrieben woraus genau sie was gelernt hat, könnte ich das beurteilen - hat sie aber nicht. "Chronik des Turbokapitalismus" ist eh schon eine schräge Sichtweise bzw. Diagnose des Kapitalismus. "Aufklärung über Möglichkeiten erneuerbarer Energien" - Daran scheint mir nun wirklich kein Mangel zu bestehen. Erneuerbare Energien sind modern, das interessiert jeden - daran hat sich eine ganze Infotainmentindustrie angehängt. Dafür brauch ich das Buch also auch nicht. "Erklärungen über Finanzgeschäfte" gut, das wär was. Aber mir ist diese Auskunft zu allgemein, damit ich mir deswegen ein Buch kaufe.

"(eine Frau, siehe da!)" - Ja, das Geschlecht ist natürlich unheimlich wichtig.

Und wofür soll das wichtig sein, dass der Autor ein Mädchen ist? Für den Inhalt der Buchbesprechung wohl nicht. - Oder meinst du einfach ich solle dem besonderen Geschlecht mehr Respekt erweisen? Wozu denn, wenn es mit den dargestellten Gedanken rein gar nichts zu tun hat.

"Die "90 Prozent" holst du aus deiner Fantasie, sonst nirgendwo her." Stimmt. Das war natürlich nur ein Zirkawert, der das Verhältnis der Ideologie zu den positiven Seiten des Buches veranschaulichen sollte. Die genau drei Eigenschaften, die der Rezensent am Buch hochhält, habe ich im letzten Beitrag zitiert und habe zu allen dreien einen beurteilenden Satz geschrieben. Ich könnte natürlich eine Wortzählung vornehmen und das Verhältnis von Sinn und Unsinn genau in Prozenten erfassen. Da würde ich garantiert auf einen höheren Wert als 90% kommen. Aber wie gesagt, kam es mir auf den genauen Wert nicht an, sondern auf eine inhaltliche Beurteilung der am Buch gelobten Eigenschaften. -

Es ist doch merkwürdig, dass der Rezensent fast ausschließlich über die Fehler des Buches schreibt und am Schluss findet er es gut, weil es auch ein paar richtige Sachen enthält. Ein paar richtige Sachen findet man fast in jedem Buch, wenn es bloß dick genug ist. Das Buch macht doch aber nicht aus, dass sein Autor nebenbei auch mal was richtig erklärt, sondern das sind die Gedanken, auf die er selbst wert legt (sein Hauptanliegen) z.B. "Erhalt des Sozialstaats durch zivilen Ungehorsam." Und diese Gedanken sind eben falsch - also ist von dem Buch nichts zu halten. Dass die Lektüre ansonsten nicht ganz umsonst war, ist zwar schön für denjenigen, der es gelesen hat, aber wohl kaum ein Grund eine Empfehlung auszusprechen.