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Es ist also gar nicht einzusehen, warum das Eigeninteresse ausschließlich im Verfolgen des eigenen Wohls bestehen soll. Das eigene Wohl existiert nicht unabhängig vom Wohl anderer. Sogar im Kapitalismus ist es ja so, dass man, trotz eines entgegenstehenden gesellschaftlichen ökonomischen Prinzips, sich um das Wohl seiner Lieben sorgt und es befördert. Moral ist dafür nicht nötig. Das Wohl seiner Nächsten liegt dem Individuum am Herzen, sodaß ihr Schade der eigene ist und das ist sogar in einer Gesellschaft so, wo das Wohl des Einzelnen im Gegensatz zu allen anderen steht.

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Wohl gesprochen! Das eigene Wohl existiert nicht unabhängig vom Wohl anderer. Der Mensch nimmt am Leben anderer in mannigfacher Weise teil. Sexuelle Fortpflanzung und arbeitsteilige Kooperation sind die beiden höchsten Zwecke des Menschen. Nur sehe ich nicht ein, warum die fürsorgliche Haltung gegenüber anderen Menschen nicht eine moralische genannt werden soll?
Meines Erachtens sind die Anhänger des "Gegenstandpunktes" hochmoralische Menschen, die sich selbst nicht als solche erkennen. Allerdings reicht dein impliziter anthropologischer Moralbegriff dann doch nicht über eine Sorge für das Wohl der „Nächsten“ hinaus, was ungefähr dem bornierten Standpunkt der bürgerlichen Kleinfamilie entspricht. Was der "Gegenstandpunkt" bzw. die frühere "marxistische Gruppe" nie begriff ist, dass das Wohl des Individuums vom Wohl aller anderen Menschen abhängt, wenn auch klassenspezifisch und je nach konkreter Lebenssituation in unterschiedlichem Masse. Über eine christliche "Nächstenliebe" hinaus, die im Horizont des abstrakten Individuums verbleibt, bedarf der Kommunismus nitzscheanischer "Fernsten-Liebe". Deshalb halte ich folgende Einwände gegen den Standpunkt eines abstrakten Eigeninteresses auch in diesem Fall für angebracht.
Du unterstellst, Leute die eine kommunistische Moral fordern, hätten einen bürgerlichen Begriff des Eigeninteresses. Aber mit ebensolchem Recht könnte man dir vorwerfen, dass du einen bürgerlichen Begriff der Moral hast:

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Moral ist gar nichts anderes als die Übersetzung des persönlichen Interesses in ein übergeordnetes Gebot, ein allgemeingültiges Gesetz und darin zugleich seine Rechtfertigung.

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Das ist mit Sicherheit verkehrt! Moral ist keineswegs die Übersetzung des persönlichen Interesses, sondern vielmehr des Wunsches nach Anerkennung durch die Gemeinschaft in ein allgemeingültiges Gesetz, wie Hegel in der „Phänomenologie des Geistes“ gezeigt hat.
Die innere Bereitschaft zur Moralität den Menschen zugunsten der Einnahme eines rigorosen Interessensstandpunktes austreiben zu wollen, muss, als theoretische Position, selbst dem Verdikt des Moralismus verfallen. Der Staat macht nicht den Menschen. Der Mensch macht den Staat.
Gegen die Annahme eines biologischen Altruismus wird oft argumentiert, Kinder seien doch eigentlich recht „egoistische“, selbstbezogene Wesen, deren Moralentwicklung gleichbedeutend sei mit der „Verinnerlichung“ des „fremden Willens“ der Eltern als „Repräsentanten“ der Gesellschaft. Ein solches Modell finden wir z.B. bei Freud, der aus der Instanz des „Es“, das in Konflikt mit der Umwelt gerät, das realitätstüchtige „Ich“ und schliesslich das sozialkonforme „Über-Ich“ entwickelt. Der Einfluss der Biologie auf das menschliche Verhalten endet jedoch nicht mit der Geburt des Menschen: das Neugeborene steht erst am Anfang eines langen biologischen Reifungsprozesses. Das „realitätstüchtige Ich“ hat (um in der Freudschen Sprache zu bleiben) so nicht nur zwischen einer äusseren Realität und einem angeborenen Lustprinzip zu vermitteln, sondern hat sich mit den Veränderungen im Trieb selbst, dem die Sozialität als solche, von Anfang an, Lust ist – was sich mit zunehmendem Alter in Wechselwirkung mit der Umwelt, verstärken oder abschwächen kann – auseinanderzusetzen. Darunter fällt z.B. der bei Frauen, die zuvor ein völlig glückliches, ungebundenes „Single- Dasein führten, „plötzlich“ auftretende Wunsch nach Kindern und Partnerschaft. Dass der Mensch einen angeborenen Sozialtrieb besitzt, hat seine guten, evolutionsbiologischen Gründe: den Genen geht es in erster Linie um die Reproduktion ihrer selbst, d. h praktisch: um die Reproduktion der Gattung, und erst in zweiter Linie um die Selbsterhaltung einzelner Individuen. Die Gene „wollen“ das nicht, aber das ist das Prinzip des Lebens. Leben kommt stets im Plural daher. Schon das Sein des Einzellers ist Sein für ein Anderes: Sein zwecks Hervorbringung eines Anderen durch Aufgabe seiner selbst als Singularität.
In scharfem Kontrast zu den oben genannten biologischen Fakten steht die äusserliche Gegenüberstellung von „Pflichten“ und Glückseligkeitstrieb, die den Altruismus für eine besonders „edle“ Eigenschaft des Menschen hält, und den „Egoismus“ für verwerflich.

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Das moralische Selbstbewusstsein stellt seinen Zweck als rein, als von Neigungen und Trieben unabhängig auf, so dass er die Zwecke der Sinnlichkeit in sich vertilgt hat. –
Allein diese aufgestellte Aufhebung des sinnlichen Wesens vertilgt es wider. Es handelt, bringt seinen Zweck zur Wirklichkeit, und die selbstbewusste Sinnlichkeit, welche aufgehoben sein soll, ist gerade diese Mitte zwischen dem reinen Bewusstsein und der Wirklichkeit, - sie ist das Werkzeug des ersteren zu seiner Verwirklichung oder das Organ und das was Trieb, Neigung genannt wird. Es ist daher nicht Ernst mit dem Aufheben der Neigungen und Triebe, denn eben sie sind das sich verwirklichende Selbstbewusstsein. Aber sie sollen auch nicht unterdrückt, sondern der Vernunft nur gemäss sein. Sie sind ihr auch gemäss, denn das moralische Handeln ist nichts anderes als das sich verwirklichende, also sich die Gestalt eines Triebes gebende Bewusstsein, d.h. es ist unmittelbar die gegenwärtige Harmonie des Triebes und der Moralität(Hegel, Suhrkamp Werkausgabe Bd. 3, S. 457).

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Die von Hegel kritisierte „moralische Weltanschauung“ ist eine Erfindung der bürgerlichen Ideologie, namentlich Kants, der auf das partielle Auseinanderfallen von Sittlichkeit und Sinnlichkeit in herrschaftlich verfassten Gesellschaften verweist, in denen moralisch-konformistisches Handeln die Glückseligkeit der einen mehr befördert als die der anderen.
Die „marxistische Gruppe“ hat die moralische Weltanschauung bloss auf den Kopf gestellt: Gemeinschaft gilt ihr als rein äusserlicher Zwang, das abstrakte Eigeninteresse für eine edle Eigenschaft des Menschen, der seine Konflikte mit der Gemeinschaft ehrlich austrägt, und alles altruistische Handeln als Heuchelei verabscheut. Dies kann als eine Art pseudokritische Überidentifikation mit der extremen sozialen Atomisierung in Waren Produzierenden Systemen nach dem Zerfall der traditionellen Arbeiterbewegung gedeutet werden.
Hegel löst demgegenüber die Antinomie der moralischen Weltanschauung wie folgt auf:

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Die Antinomie der moralischen Weltanschauung, dass es ein moralisches Bewusstsein gibt und dass es keines gibt, - oder dass das Gelten der Pflicht ein Jenseits des Bewusstseins ist und umgekehrt nur in ihm stattfindet, war in die Vorstellung zusammengefasst worden, worin dass nichtmoralische Bewusstsein für moralisch gelte, sein zufälliges Wissen und Wollen für vollwichtig angenommen und die Glückseligkeit ihm aus Gnade zuteil werde. Diese sich selbst widersprechende Vorstellung nahm das moralische Selbstbewusstsein nicht über sich, sondern verlegte sie in ein ihm anderes Wesen (...) Dies Sein für Anderes ist (...) die ansichseiende, vom Selbst unterschiedene Substanz. Das Gewissen hat die reine Pflicht oder das abstrakte Ansich nicht aufgegeben, sondern sie ist das wesentliche Moment, als Allgemeinheit sich zu anderen zu verhalten. Es ist das gemeinschaftliche Element des Selbstbewusstseins und dieses die Substanz, worin die Tat Bestehen und Wirklichkeit hat; das Moment des Anerkanntwerdens von den anderen (ebenda, S. 464-470).

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Dieser Sachverhalt wurde erst kürzlich durch neure Erkenntnisse der Neurobiologie bestätigt. Danach ist der Mensch ein Wesen, dessen zentrale Motivation auf Zuwendung und gelingende mitmenschliche Beziehungen gerichtet ist.

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Diese Erkenntnis wurde durch die Entdeckung der Motivationssysteme, auch Belohnungssysteme genannt, möglich. Die Struktur, die sich als Kern der Motivationssysteme herausstellte, hat ihren Sitz im Mittelhirn, also an zentraler Stelle. Sie ist mit zahlreichen anderen Hirnregionen verbunden. Besonders enge Nervenverfassungsschaltungen bestehen mit den Emotionszentren. Informationen, die von dort eintreffen, melden dem Motivationssystem, ob die Umwelt interessante Ziele in Aussicht stellt, für die es sich einzusetzen lohnt. Wenn das System aktiv wird, schüttet es einen Botenstoff namens Dopamin aus. Dieser löst sowohl im Gehirn als auch im Körper Effekte aus, die den Wirkungen einer Dopingdroge ähnlich sind. Dopamin erzeugt ein Gefühl des Wohlbefindens und versetzt den Organismus in einen Zustand von Konzentration und Handlungsbereitschaft (Joachim Bauer. Beziehungen: Der Motor unseres Lebens. In: Psychologie heute, Oktober 2006; S.21).

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So, das sollte für heute erstmal reichen! Um dem möglichen Vorwurf des Biologismus entgegenzutreten: Ich bin bestrebt, mir ein ganzheitliches Bild der Moral zu machen und sie unter ihren biologischen, anthropologischen, entwicklungspychologischen, soziologischen, historischen usw. Gesichtspunkten zu betrachten. Weitere Argumente werden folgen! Soviel sollte schon jetzt klar sein: Ohne einen allgemeinen, wissenschaftlichen Moralbegriff zu haben, ist die spezifische Rolle der Moral im Kapitalismus bzw. in Klassengesellschaften nicht zu verstehen. Wie die MG selbst schreibt: "Dass sich an Besonderheiten Allgemeines nicht finden lasse, halten wir für ein Gerücht, welches die albernste Form der öffentlichen Abdankung eines Theoretikers darstellt."

Zunächst: den Begriff der "Fernsten-Liebe" habe ich als kleine Provokation in meine Argumentation eingestreut, um die konkrete Relevanz deiner impliziten Moralvorstellungen auszuloten. Was du zur Kritk der "Fernsten-Liebe" schreibst, ist nicht ganz falsch. Vielleicht wäre es besser von "Gattungsbewusstsein" im engelsschen Sinne zu sprechen, welches einer Reflexionsstufe des Geistes in der konkreten Bewegung des Kommunismus entspricht, nicht einem abstrakten Ideal, dass sich die Menschen im Kommunismus zu eigen machen "sollen".
Dazu ein andermal mehr.-

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Zur Richtigstellung erstmal: "Aber mit ebensolchem Recht könnte man dir vorwerfen, dass du einen bürgerlichen Begriff der Moral hast:" Dieser Vorwurf wäre aber verkehrt. Es ist ein Unterschied, ob man den Begriff der bürgerlichen Moral erklärt oder ob man einen bürgerlichen Begriff der Moral hat. Ich hoffe du hast gemerkt, dass die obigen Bestimmungen eine Kritik der bürgerlichen Moral sind und keine Verteidigungsrede für moralisches Denken sein sollen. Ein bürgerlicher Bergriff wäre ein Rechtfertigung z.B. nach dem Kantschen Muster, dass die Pficht auch das Vernünftige ist.

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Dein Problem besteht darin, dass du die bürgerliche Moral bzw. die Phrasen einiger Moralphilosophen wie Kant mit Moral schlechthin identifizierst und komplementär dazu die Semantik des Eigeninteresses ungebührend ausdehnst. Dieses terminologische Abgleiten in eine Art Privatsprache, deren korrekte Beherrschung der "Gegenstandpunkt" zum Mass richtiger Argumentation erhebt, wäre unter Umständen noch annehmbar, wenn damit nicht auch inhaltliche Fehler verbunden wären. Über eine mögliche Aufhebung der Moral im Kommunismus liesse sich streiten, über deren anthropologische Grundlagen nicht.

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Die „marxistische Gruppe“ hat die moralische Weltanschauung bloss auf den Kopf gestellt: Gemeinschaft gilt ihr als rein äusserlicher Zwang, das abstrakte Eigeninteresse für eine edle Eigenschaft des Menschen, der seine Konflikte mit der Gemeinschaft ehrlich austrägt, und alles altruistische Handeln als Heuchelei verabscheut. Diese Behauptungen stimmen nicht. Belege bitte!

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Belege hierfür habe ich nicht, dafür reichlich Indizien, z.B. die fehlerhafte Ableitung der Moral in dem MSZ-Text "MORAL - DAS GUTE GEWISSEN DER KLASSENGESELLSCHAFT". Sollten meine Behauptungen verkehrt sein -umso besser! Der "Gegenstandpunkt" hält sich ja zugute, dass er überhaupt kein "Menschenbild" hat. Das ist insofern sympathisch, als dadurch der Versuchung fehlerhafter naturalistischer Verallgemeinerungen ein Riegel vorgeschoben wird. Das ist insofern problematisch, als das ohne Anthropologische Grundbegriffe ein Übergang zur konkreten Erkenntnis der Ebene des Gesellschaftlich-Historischen gar nicht möglich ist. Das Problem mit den weltanschaulichen "Menschenbildern" ist ja nicht, dass sie allgemeine Bestimmungen des Menschseins treffen, sondern dass diese Bestimmungen unzureichend sind und an der Vermittlung des Logischen mit der konkreten Empirie scheitern. An eben dieser Vermittlung scheitert umgekehrt auch der Gegenstandpunkt (bzw. die frühere MG), indem er nämlich die leere Abstraktion der "Klassengesellschaft" bzw. deren Reflexion in einem subjektiven "Denkfehler" unvermittelt zur Ursache moralischer Befindlichkeiten erhebt.

[quote] Unter den Massen in der Klassengesellschaft ist das Interesse an der eigenen Moralität offenbar so lebendig, daß es sich von den materiellen Interessen und jeder noch so verkehrten Berechnung auf einen Nutzen trennt und zu einem aparten Herzensanliegen wird.

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Dass sich das "Interesse an der Moralität" von den materiellen Interessen "trennt", suggeriert, dass beides, Moral und materielle Interessen, ursrpünglich eins waren, was in ungefähr deiner Behauptung entspricht, die Verfolgung des eigene Wohl schliesse nicht das Wohl der Anderen aus, welches dem Individuum "am Herzen liegt". Diese begriffliche Verdoppelung des "Eigeninteresses", einmal als exklusives, konkurrenzistisch-individualistisches ("bürgerliches"), dem Gemeinwesen entgegengesetztes, und einmal als inklusives, das Wohl der Anderen miteinbeziehendes, ist insfofern problematisch, als dadurch die inhaltliche Unterscheidung von materiellen Bedürfnissen und primären Bedürfnissen nach Gemeinschaft, die eben nicht a priori harmonieren, sondern die von jedem Individuum in jeder Gesellschaft in ein bestimmtes Verhältnis zueinander gebracht werden müssen, tendentiell verwischt wird. Individuen nehmen unter Umständen materielle Nachteile in Kauf, wenn es für die Gemeinschaft zweckmässig ist, und gelangen dadurch zu sozialem Ansehen. Ein solches Verhalten darf aber nicht prinzipiell als Abweichung von einem Ideal prästabilisierter Harmonie materieller Interessen missverstanden werden, sondern in jedem Fall wäre zu prüfen, ob für dieses Verhalten eine ideologische Begründung vorliegt, die auf einer ungenügenden Reflexion der gesellschaftlichen Verhältnisse basiert.
Somit würde est erkennbar, ob dieses Verhalten ein genuin "moralisches" (altruistisches) ist oder ob es ideologisch motiviert ist.

Zur Unterscheidung von Ideologie und Moral

"Ideologisches" Handeln kann so konzipiert werden, dass jemand dazu gebracht wird, aus falschen Gründen seinen Interessen zuwider zuhandeln bzw: die Ideologie macht ihn Glauben, dass das, was seine Interessen in Wirklichkeit schädigt, gut für ihn bzw. für seine Nächsten ist (das ist jetzt ein stark verkürzter Ideologiebegriff, sollte jedoch für die folgende Demonstration ausreichen). "Moralisches" Handeln basiert hingegen darauf, dass jemand im Bewusstsein dessen handelt, dass er durch sein Handeln, sich selbst einen materiellen Nachteil und anderen einen Vorteil verschafft. Die Bereitschaft, so zu handeln, kann nun m.E. unter keinen Umständen durch eine von aussen übernommene Ideologie in die Köpfe der Menschen gelangen, gerade deshalb, weil es überhaupt keinen denkbaren Grund gibt, von einem einmal gehabten, egoistischen ("materialistischen") Standpunkt abzuweichen. Man kann Leute darüber täuschen, ob Auschwitz stattgefunden hat, oder nicht, aber man kann Leute unter keinen Umständen darüber täuschen, ob sie es vorziehen, zu essen, oder ihr Essen selbstlos an andere zu verschenken und dabei zu verhungern...

Diese Bereitschaft muss vielmehr in jedem Fall schon vorausgesetzt werden, will man eine Ideologie "moralisch" rechtfertigen. Moral ist eine dem Denken vorgelagerte Disposition, die durch das jeweilige Weltbild nur inhaltlich unterschiedlich ausgestaltet werden kann - oder sie ist nichts. Das hat aber weitreichende Konsequenzen: Moral bzw. die Bereitschaft der Moralität kann nicht "anerzogen" sein, denn auf welche Mittel würden die Eltern dabei zurückgreifen können?

Die logische Unzulänglichkeit der Moralkritik

Wir müssen also eine Entscheidung treffen - entweder es gibt überhaupt kein moralisches Handeln, jegliche Moralkritik wäre somit bedeutungslos, oder aber: die Bereitschaft zur Moralität ist angeboren (bzw. wird durch biologische Reifung verursacht), abstrakt-allgemeine Moralkritik wäre in diesem Fall von der Art, wie die Kritik daran, dass das Wasser abwärts und nicht aufwärts fliesst, also ebenfalls sinnlos. Die Faktizität des Glaubens an die Moralität der anderen lässt darauf schliessen, dass bei Leuten, die daran glauben mehr als nur "egoistische" Motive vorzufinden sind, denn, wenn sie niemals im Leben die "Stimme" ihres "Gewissens" gehört hätten, wie könnten sie sich darauf verlassen, dass andere danach handeln? Wie könnten sie, umgekehrt, heuchelnd annehmen, dass diese "Heuchelei" bei den anderen als moralisches Verhalten durchgeht? Die Nichtexistenz altruistischen Handelns zu postulieren ist offenkundig Unsinn, ebenso wie der Versuch, Moralität aus rein externen, soziologischen oder historischen Gründen bzw. pädagogischen Massnahmen heraus zu erklären.

Die richtige Erklärung der Moral

Durch das oben durchgeführte Ausschlussverfahren zeigt sich, wo wir die Erklärung zwischen der Spannung von Egoismus/Altruismus zu suchen haben: auf anthropologischer bzw. biologischer Ebene. Und hier finden wir dann tatsächlich eine Erklärung: Das Schicksal der Menschen ist eng miteinander verwebt, da sie ein- und derselben Gattung angehören und die Menschen sind vor allen Dingen darauf programmiert, gemeinsam die Verbreitung des Gattungs-Genoms zu fördern. Gleichzeitig ist jeder Mensch doch ein Individuum, auch auf Selbsterhaltung programmiert. Unter Umständen - bei materiellerer Ressourcenknappheit und/oder einer stark assymetrischen Verteilung von Fortpflanzungsgelegenheiten - kann es deshalb zu einem Konflikt bzw. zu einer weitreichenden Nicht-Kooperation zwischen verschiedenen Individuen dieser Gattung kommen, die sich als soziales Muster über Generationen weiter tradiert, ohne dass der Grund dafür ersichtlich wäre: das ist der Ursprung jeglicher Herrschaft.

Die Instanz im Menschen, die moralisches Handeln möglich macht, ist das Streben nach sozialer Anerkennung ("Ruhm" und "Ehre"), das allerdings ganz verschiedene Dinge beinhalten kann, je nachdem, was die vorherrschende Gesellschaft vom Menschen erwartet, und womit, umgekehrt der einzelne Mensch glaubt, Anerkennung finden zu können, ungeachtet dessen, ob es offiziell proklamierten Normen entspricht oder nicht... Das Streben nach sozialer Anerkennung kann verheerende Folgen haben, wenn es mit irrationalen Ideologien verknüpft wird - wie im Faschismus - muss aber nicht zwingend. Das Streben nach Anerkennung ist mitunter ein "Kampf auf Leben und Tod" (Hegel). Doch wer dafür anerkannt werden will, dass er der Menschheit Gutes tut, der wird der Menschheit letztlich auch Gutes tun müssen. Deshalb kann man in der Tat mit Hegel sagen: Weltgeschicht ist Weltgericht.

Am Beispiel der Kleinkinder lässt sich am besten die anthropologische Dimension des Anerkennungsstrebens aufzeigen: es ist bekannt das Säuglinge, die keine bis wenig "Zuneigung" und "Liebe" erhalten, sich zumindest ebenso schlecht entwickeln, wie ohne die notwendigen materiellen Ressourcen.
In diesem Zusammenhang wird auch ersichtlich, warum folgende Bestimmung des Anerkennungstrebens von dir verkürzt ist:

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Die gewünschte Anerkennung durch die Gemeinschaft hat ja einen Inhalt und der besteht gewöhnlich im eigenen Interesse bzw. in der Übersetzung des Eigeninteresses in Form eines Werts oder Ideals.

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Dem ist entgegenzuhalten: der Witz des menschlichen Wunsches nach Anerkennung besteht gerade darin, dass ihm in der Regel gerade kein materielles Bedürfnis zugrundeliegt; das Bedürfnis nach Anerkennung/ bzw. Kommunikation ist ein primäres Bedürfnis des Menschen, insbesondere, aber nicht ausschliesslich, im Umgang mit den geliebten Nächsten.
Da die "Liebe" nicht wie ein "Objekt" gegeben werden kann, erscheint das "Begehren nach Liebe" - in der Diktion der Lacanschen Psychoanalyse, in der diese Problematik eine fundamentale Rolle spielt - als "Begehren des Begehrens des Anderen". Liebe zu begehren heisst, vom anderen zu verlangen, sein "Begehren" zu "geben". Man kann dies eine "Spiegelstruktur" nennen, und das entsprechende Stadium der Kindheit "Spiegelstadium", welches auch im Erwachsenenleben niemals vollständig "abgeschlossen" wird; es ist z.B. ganz offensichltich das jede "Liebesbeziehung" auf einer solchen Spiegelstruktur basiert, auch wenn die betreffenden Menschen sonst nicht sehr "narzisstisch" sind. Wer die "Moralität" abschaffen - statt im Gattungsbewusstsein aufheben - will, der müsste konsquenterweise auch für die Abschaffung der "Liebe" plädieren, die sich aus derselben Quelle speist, also für eine völlig "freie Sexualität", allenfalls mit Überlegungen eines "zweckmässigen Zusammenlebens" verbunden, eintreten. (Seltsamerweise finden sich solche Forderungen nicht bei der "Marxistischen Gruppe" und ihren Anhängern, diese werden, im Rückblick auf die Studentenrevolte - etwa bei der "Jungen Linken" bestenfalls als "romantisch" denunziert, womit der Sachverhalt gründlich verfehlt wird).

Die Neurobiologie ist seit neuestem daran, die physiologischen Träger des Einfühlungsvermögens und Anerkanntsein-Wollens zu erforschen, die sinnigerweise als "Spiegelneuronen" bezeichnet werden. Selbstredend sollte man als Gesellschaftskritiker biologische Befunde über das "Wesen" des Menschen mit Vorsicht behandeln und die dabei vorgebrachten Argumente genau prüfen, aber einfach so ignorieren, nur weil sie nicht ins eigene Weltbild passen, sollte man sie sicher nicht.

Die historische Unzulänglichkeit der Moralkritik und die Ignoranz der "Zivilisations-"-Theoretiker

Ich gehe im Weiteren nicht auf Thesen ein, die versuchen, die "Liebe" bzw. die "Mutterliebe" zu historisieren oder originellerweise gar als "Erfindung" der "bürgerlichen Gesellschaft" vorzuführen. Diese können meines Wissens heute als widerlegt gelten, ebenso wie die entsprechenden dunklen Andeutungen der "kritischen Theorie". Dagegen verweise ich auf die umfangreichen Studien von Hans Peter Duerr (der Anthropologe - nicht der Physiker!), die zeigen, dass das Schamgefühl - insbesondere die Sexualscham - eine Konstate aller bekanten bzw. bisher erforschten menschlichen Kulturen ist, ebenso wie die "Rationalisierung" der moralischen Gefühle in einem reflexiven Verhaltenskodex. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass die Moral historisch entstanden sein könnte. Die Theorien, die von einer zunehmenden "Moralisierung" oder "Verinnerlichung" von Normen im Laufe der Menschheitsgeschichte basieren weitgehend auf unhaltbaren Spekulationen und verkürzten Interpretationen, die mehr über den Rassismus und die Ignoranz der Wissenschaft und Phiosophie aussagen, als über "fremde" und "frühere" Gesellschaftsformen.

Impliziert die Moral ein Herrschaftsverhältnis?

Der "marxistischen Gruppe" zufolge impliziert der Wunsch nach Anerkennung ein Dienstverhältnis: wer anerkannt werden will, der will dienen, bezieht sein Selbstbild von anderen, setzt sich selbst als inferior und konstituiert somit eine Herr/Knecht-Dialektik:
"So kommen freie Menschen überein, Dienstbarkeit als den Inbegriff ihres freien Willens zu verstehen. Denn es ist Dienst, nach fremder Zwecksetzung zu handeln. Dies freiwillig zu tun, fremde Zwecke prinzipiell zu respektieren, bedeutet Dienstbarkeit" (ebenda).
Hier mag schon etwas Wahres daran sein, und man möchte sich wünschen, dass solche assymetrischen Dienstbeziehungen in einer künftigen Gesellschaft vollständig verschwinden. Doch ist es illusorisch, angefangen beim Kleinkind, über den Kranken bis hin zu den Alten, alle Menschen als abstrakt unabhängig und nur sekundär verbunden in der Verfolgung von "Zwecken" zu setzen. Andererseits ist es auch problematisch, eine "harte Trennung" zwischen den genannten Kategorien und dem "gesunden, reifen, selbständigen" Normalmenschen vorzunehmen: das ist ja gerade, was den Menschen in der heutigen Gesellschaft in aller Schärfe eingeprägt wird: nur ja nicht sich abhängig machen von anderen, nur ja nicht Schwäche zeigen: Noli me tangere! Nicht Kind, nicht alt, nicht krank sein!

Wäre es demgegenüber nicht möglich, denn Anderen zugleich als Mittel, die allgemeine Befriedigung materieller Bedürfnisse zu gewährleisten, wie auch als "Zweck an sich", einen Kommunikationspartner zu haben, anzusehen? Dies käme einer umfassenden, gegenseitigen Anerkennung aller Menschen und der Geschlechter gleich, wie sie u. A. von Feministinnen der mörderischen "Dialektik von Herr und Knecht" bei Hegel gegenübergestellt wird.

Ist es rational, aus egoistischen Gründen zu kooperieren, d.h. gilt der Satz "Wenn jeder für sich schaut, ist für alle gesorgt"*?

Ich behaupte, dass sich aus unterstellten „Eigeninteressen“ unabhängiger rationaler Akteure die Entstehung von Kooperation nicht erklären (und auch nicht befürworten) lässt, sondern dass hierfür exogene Faktoren - eben der Altruismus als anthropologisches Faktum! - in Betracht zu ziehen sind. Den" mathematischen Beweis" hierfür liefert ausgerechnet die bürgerliche "Spieltheorie" mit dem "wiederholten Gefangenendilemma", wenn man sie gegen den Strich einer Rechfertigung des Individualismus liest, d.h. auf ihren objektiven Gehalt hin überprüft. Der rationale Egoismus des Einzelnen führt in der Spieltheorie, im Widerspruch etwa zum Smithschen Theorem der „Unsichtbaren Hand“, stets dazu, dass am Ende sämtliche Akteure ohne Ausnahme schlechter (!) dastehen, als wenn sie noch eine zusätzliche Motivation, zu kooperieren gehabt hätten. Selbst die Unterstellung vorgängiger Absprachen über den Einsatz kollektiver Ressourcen (was in der Realität einer „Planwirtschaft rationaler Egoisten“, wie sie die "Marxisitsche Gruppe" fordert, entsprechen würde, oder auch einem antikapitalistischen "Umsturzplan") kann die überlegene Rationalität defektiver Strategien im Gefangenendilemma nicht widerlegen. (Wie sagte doch Lenin: Vertrauen ist gut - Kontrolle ist besser!) Nur die tatsächliche Existenz "bedingt" kooperativer Strategien bietet einen Anreiz dafür, dass kooperative Strategien sich evolutionär ausweiten zu einem umfassenderen kooperativen Verhalten der Akteure.

Schlussfolgerung: Der Egoismus selbst führt zwar nicht unter allen Umständen zu einem sub-optimalen Resultat in der gesellschaftlichen Kooperation. Aber eben: Vom Standpunkt eines rationalen Egoismus ist es gar nicht möglich, eine Änderung der "Umstände" Richtung "mehr Kooperation" vorzusehen, ausser man schraubt in unrealistischer Weise am Diskontfaktor für zukünftige Erwartungen. Der Egoismus kann immer nur opportunistisch auf einen bereits vorhandenen "Zug" Richtung Kooperation aufspringen. Das ist exakt der Grund, weshalb die Vorstellung eines determinierten Ablaufs der Geschichte so bestimmend wurde für den traditionellen Marxismus. Amputiert man nun diese "Geschichtsmetaphysik", und besteht man trotzdem auf einem utilitaristischen Menschenbild, hat man keine plausiblen Argumente mehr übrig, die für kommunistische Agitation sprechen würden. Das widerum ist exakt das Dilemma solcher Gruppierungen wie der "Marxistischen Gruppe"...

Ist der zunehmende "Individualismus" eine "Errungengenschaft" der "Arbeiterklasse"?

Im Operaismus und verwandten theoretischen Ansätzen, die den Klassenkampf als Hauptmotor der Geschichte ansehen, wird die Meinung vertreten, der Übergang zu einem zunehmenden Individualismus bzw. einem "absolut asozialen Egoismus" (Hobsbawm), wie wir ihn in den letzten dreissig Jahren vor allem in den weltsystemischen Zentren erlebten, sei als Resultat von Klassenkämpfen gegen die "fordistische Fabrikdisziplin", überkommene Familienstrukturen, restriktive Sexualnormen etc. grundsätzlich zu bejahen, oder zumindest als gegeben hinzunehmen. Jegliche Kritik an dieser Entwicklung kann dann als reaktionär denunziert werden. Dies halte ich für eine äusserst problematische Haltung, die das Bezugsfeld der liberalen und traditionsmarxistischen "Fortschritts"-Metaphysik nicht verlässt. Ob der gegenwärtige "Individualismus" nicht einen grösseren Leidensdruck schafft als die früheren "restriktiven Strukturen" ist noch keineswegs wissenschaftlich geklärt. Das Sich-Kaprizieren auf den Übergang von "Fordismus" zum "Postfordismus" ist zudem historisch kurzsichtig, da der historisch gesehen viel tiefere Einschnitt, der zwischen einer relativ kollektivistisch-integrativen und der postmodernen "anomischen" Gesellschaft besteht, übersehen wird. Eric Hobsbawm betont im Vorwort zu seinem grandiosen "Zeitalter der Extreme" zu Recht diesen menschheitsgeschichtlich nie dagewesenen, radikalen Wandel, dessen weiterreichende Konsequenzen noch gar nicht abzusehen sind. Der Wandel besteht darin, dass die Kooperations- und Solidaritätsstrukturen und Ideologien (protestantische Ethik), die der Welt des Kapitals zum Durchbruch verhalfen, daran sind, von dieser Welt selbst dementiert und demontiert zu werden. Es ist höchst ungewiss, ob die Menschen, die in der Ära der totalen Anomie und Unsicherheit aufgewachsen sind, noch einmal zu einem minutiös vorbereiteten kollektiven "revolutionären" Kraftakt fähig sein werden, der die Gesellschaft transformieren wird. Die Möglichkeit dazu besteht, aber die Voraussetzungen dazu sind nicht gut, jedenfalls nciht besser als vor dreissig Jahren...
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So, ich hoffe das Gesagte reicht, um die bestehenden Missverständnisse zwischen uns zu beseitigen. Einige Passagen des Textes stammen aus einem früheren Text von mir, als ich deine Stellungsnahme zur Moral noch nicht gelesen hatte. Sollte ich deine bzw. generell die GSP-Moralkritik fundamental missverstanden haben, so tut mir dies aufrichtig leid. Wenn nicht, freue ich mich auf eine weitergehende hitzige Debatte.
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* so gelesen in einem KF-Beitrag eines GSP-Anhängers

Es freut mich, dass du Interesse an der Fortsetzung der Moral-Debatte zeigst. Ich habe zwar geglaubt, alle wesentlichen Argumente, um diese Debatte auf ein höheres Niveau (wo dann u.A. gesellschaftsformationsspezifische und entwicklungspsychologische Aspekte der Moral diskutiert werden könnten) zu heben, stünden schon in meinem letzten Beitrag. Offenbar reden wir jedoch aneinander vorbei, deshalb im folgenden einige Präzisionen zu meinem Standpunkt, die unter dem Motto "Biologie versus Ideologie" stehen könnten.
Leider kann ich an dieser Stelle nicht auf deine Ausführungen zu "Produktionsweise", "Eigentum", "Konkurrenz", etc. eingehen, da du die viel fundamentalere Ebene der Anthropologie gründlich falsch konzipierst.
Dass du allen ernstes leugnest, "so etwas wie eine biologische Zusammenhehörigkeit, die eine Gemeinschaft konstituieren würde, vielleicht sogar unabhängig vom indidivuellen Denken" gäbe es nicht, zeigt wieder mal mit aller Deutlichkeit, dass die GSP-Anhänger zu der hartnäckigsten Sorte Realitätsverleugner gehören. Mach dich doch zuerst mal über die einschlägigen Debatten in der Biologie (Stichworte: Sozialbiologie, Spiegelneuronen, kooperatives Gen, gefühlte Moral) kundig, bevor du so eine unqualifizierte Behauptung ins Forum stellst. Die These vom "egoistischen Gen" ist längst überholt und folglich ist es auch Quatsch, die Moral dagegen als "Korrektiv" ins Feld zu führen, wie es überhaupt Quatsch ist, die Natur des Menschen bekämpfen zu wollen. Das ist nicht mein Anliegen. Ich leite die gesellschaftlichen Missstände nicht unmittelbar aus einer egoistischen Menschennatur ab, sondern daraus, dass der Mensch unzureichend darauf reflektiert, dass er sich mit einer Handlungsweise, die allein auf materielle Vorteile zielt, letztlich selbst ins Bein schiesst, und somit zu keinem gelingenden Leben kommt. Ideelle Sinnzusammenhänge sind nunmal weitaus ergiebiger als materielle. Herrschaft hat ihren Preis, sowohl für die Beherrschten wie für die Herrschenden und Emanzipation kann nicht daraus entstehen, das erstere die Rücksichtslosigkeit von letzteren - genauer: was sie dafür halten, denn klassenintern gibt es unter den Herrschenden durchaus eine über das enge Nutzenkalkül hinausgehende Solidarität - bloss kopieren.
Du glaubst, den Verweis auf die biologischen Grundlagen der Moral damit abtun zu können, dass man in diesem Fall gar nicht anders als dem Gattungsbewusstsein gemäss handeln könnte. Das ist ungefähr so absurd, wie zu behaupten, der Gebrauch des männlichen Penis im Sexualakt widerspreche seiner Bestimmung als Pissorgan. Die menschliche Biologie ist in sich so mannigfaltig, dass sie gegensätztliche Bedürfnisse enthält, die zwar nacheinander, niemals aber gleichzeitig befriedigt werden können.
In einem solchen Gegensatz steht das angeborene Kooperationsbedürfnis zu allen materiellen Bedürfnissen: entweder ich helfe anderen, oder ich strebe stur nach meinem materiellen Vorteil, beides zusammen geht nicht.
Dieser Gegensatz ist auf der Handlungsebene unaufhebbar, nicht jedoch auf der Bewusstseinsebene. Hier kommt der Mensch mit seinem freien Willen und seinen freien Zwecksetzungen ins Spiel. Der freie Wille begründet die Notwendigkeit einer reflexiven Moral, die die Frage stellt: Was soll ich tun? Die Beantwortung dieser Frage hängt von der Kenntnis der mit dem eigenen Handeln verbundenen Konsequenzen ab, die u.A. in der Natur und Geschichte des Menschengechlechtes begründet liegen. In diesem Zusammenhang ist es dann durchaus möglich, dass Menschen - augrund mangelnder Kenntnisse - eine Seite ihrer Natur verleugnen, siehe z.B. die mittelalterliche Sexualunterdrückung und das Klosterwesen im besonderen. Das "Gattungsbewusstsein" wäre demgegenüber ein Idealzustand der Selbstbewusstwerdung, indem der Mensch sich selbt nicht mehr verleugnet, sondern sein Handeln allein an der Zweckmässigkeit für sich selbst und die menschliche Gesellschaft im Ganzen ausrichtet und bei gegensätzlichen Zwecken sich bewusst für eine Alternative entscheidet, statt sich unreflektiert an eingeschliffenen und tendentiell (selbst-)destruktiven Gewohnheiten zu orientieren. Der Mensch, der im Gattungsbewusstsein sich selbst als Gattungswesen zum Gegenstand der Reflexion hat, ist einzig in der Lage, die Vorgeschichte als Geschichte von Herrschaftsverhältnissen zu überwinden.
Was deine "Erklärung" der Moral betrifft, so habe ich sie deshalb nicht näher gewürdigt, da es sich dabei überhaupt nicht um eine "Erklärung" im eigentlichen Sinne handelt, sondern um die GSP-übliche Anhäufung von Absurditäten, die die Form logischer Argumentation bloss zum äusseren Schein hat. Wer den Altruismus irgendwie - und sei es aus einem noch so schlecht bzw. wohl verstandenen - Egoismus ableiten will, der disqualifiziert sich selbst als ernsthafter Moraltheoretiker, das wusste schon Emile Durkheim. Das ist nicht moralisch gemeint sondern streng wissenschaftlich. Und da du Autoritätsverweise so zu mögen scheinst: lies doch mal z.B. Emile Durkheims Studie über den Selbstmord, statt immer nur Marx, Hegel und den Gegenstandpunkt. Das wäre gut für die Bildung des Gattugsbewusstseins.

Hier noch ein Link zur Spieltheorie:

Peter Ulbrich. Kooperation und die Bereitstellung kollektiver Güter in problematischen sozialen Situationen Spieltheoretisch modelliert anhand des Gefangenendilemmas.
http://www.hausarbeiten.de/faech...102601.html

Aus der Einleitung:

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Eines der wichtigsten Probleme der Soziologie ist der Frage nach der Entstehung von sozialer Ordnung. Ein wesentlicher Teilaspekt ist die Frage nach der Entstehung von Kooperation zur Bereitstellung kollektiver Güter in größeren Gruppen (Raub/Voss 1981: 186) . Viele Erklärungsansätze sehen diese im ,,war of man against man" erst und ausschließlich durch exogene Faktoren, wie den Weberschen ,,Erzwingungsstab" möglich. Irgendwer oder irgendetwas von außen muss Kraft seines Einflusses, seiner Macht, Zwang ausüben oder androhen.
Diese Erklärung hat das Manko, dass eben jener Erzwingungsstab auch erst einmal erklärt sein will. Das macht den Ansatz nicht unwichtiger, doch es ergibt sich wiederum die Frage, ob nicht Kooperation auch endogen entstehen kann, aus dem Kreis der mit- und gegeneinander agierenden Akteure heraus.
U.a. dieser Frage widmet sich auch die Spieltheorie. Eines ihrer Spiele, sicher auch das bekannteste, das Gefangenendilemma, modelliert exemplarisch eine Vielzahl von Situationen, in denen Kooperation hilfreich wäre, würde sie nur entstehen, was aber leider nicht ganz unproblematisch ist.
Ich werde zu zeigen versuchen, wann Kooperation unter sich den Rationalitätsannahmen entsprechend verhaltenden Akteuren in diesen Dilemma-Situationen entstehen kann und unter welchen Umständen sie stabil bleibt. Einen weiteren Schwerpunkt bilden die Implikationen, die sich ergeben, wenn das Gefangenendilemma (als typischer Vertreter der sogenannten Harsanyi-Dilemmata) mit mehr als zwei Personen und mit steigenden Gruppengrößen ,,gespielt" werden.

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"Moral imaginiert ein Allgemeinwohl, in dem das eigene Interesse aufgehoben ist.
Moral entsteht auf der Grundlage, dass es einen Gegensatz zwischen Allgemeinwohl und Einzelinteresse gibt, sonst müsste kein alternatives als ideale Norm oder Wert sich vorgestellt werden. Gleichzeitig leugnet die Moral diesen Gegensatz
und tut so als sei das Einzelinteresse im Gemeinwohl aufgehoben. Moral ist gar nichts anderes als die Übersetzung des persönlichen Interesses in ein übergeordnetes Gebot, ein allgemeingültiges Gesetz und darin zugleich seine Rechtfertigung.
Der Einzelne tut dann nicht mehr nur was er will, sondern handelt in höherem Auftrag, der ihn zu seinem Tun berechtigt, d.h. seinem Interesse vor konkurrierenden den Vorrang gibt."

Diese Erklärung von Moral finde ich einleuchtend, und finde sie (die Moral)
auch genau so auf vielen Feldern des bürgerlichen Lebens:
Mehr Lohn fordern macht man nicht, weil man gern mehr Geld hätte, sondern weil es gut für die Binnennachfrage, den Standort, für die Firma ist.
Lohnforderungen zurückweisen macht man nicht, weil es dem Zweck widerspricht, Arbeiter gewinnbringend anzuwenden, sondern weil es schlecht für den Standort (Konkurenz auf dem Weltmarkt), die Sicherheit der Firma in der Zukunft, etc, ist.

Was ich bishernicht verstanden habe: Wie kommt man von der oben zitierten Bestimmung der Moral, beispielsweise zu solchen Tugenden wie Ehrlichkeit?

Ehrlichkeit ist bei Bürgern ja auch nicht einfach etwas, was sich bezogen auf die jeweilige Situation ergibt oder auch nicht. Sondern sie wird überall gefordert, als Mittel der Gedankenkontrolle.
Vom Vorgesetzten: Man könne ruhig über Probleme sprechen, die man als Angestellter bei der Umsetzung des Auftrags hat.
Vom Beziehungspartner: Du kannst mir doch alles sagen. Ebenso von Kindern.

Ehrlichkeit (fordern) ist schon eine Betätigung von Moral.
Auch bei ihr wird nicht das Interesse vorstellig gemacht (Gedankenkontrolle),
sondern indirekt, "irgendwie", anders.
Aber wie? :-)

Wie würde man Ehrlichkeit aus deinem Zitat oben ableiten?