Kritik an dem Artikel „Beruf: Künstler“ aus „Die Jobs der Elite“
Es ist klar, dass Linke den bürgerlichen Kunstbetrieb für eine ziemlich luxuriöse Veranstaltung halten. Entscheidungen und Ereignisse die den Lauf der Welt bestimmen, finden jedenfalls nicht in dieser Sphäre statt. Deshalb beschäftigen sich Linke ungern ernsthaft mit Kunst. Wenn sie sich diesen Luxus aber leisten, dann sollte das Gesagte, wie alles andere auch, Hand und Fuß haben. Entweder man nimmt den Gegenstand ernst und oder man lässt ihn links liegen. Man kann aber nicht, wie in dem Fall des Künstlerartikels irgendwas erzählen und sich dann jahrzehntelang nicht mehr damit beschäftigen wollen, weil man als ordentlicher Linker immer was besseres zu tun hat.

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„Beruf: Künstler
Daß Künstler etwas können müssen, was durchaus nicht jeder kann - Noten lesen; richtig Atem holen beim Singen; Meißel oder Pinsel geschickt handhaben; Gesicht und Gestalt glaubwürdig in Falten legen; beim Erzählen einen unterhaltsamen Ton treffen; usw.-, gehört zu den Voraussetzungen ihres Berufs; es macht ihn nicht aus und kann sich sogar, bei ganz echten Künstlern, als eine Einstiegsbedingung erweisen, die im Laufe der Karriere überwunden und verlassen werden muß. Die Solidität des gelernten Handwerks jedenfalls macht erst einmal nur den Orchestermusiker, Gebrauchsgraphiker, Regieassistenten und dergleichen untergeordnetes Personal. Das Künstlertum, auf das deren Ehrgeiz - zumindest in jüngeren Jahren noch- geht, fängt mit der tieferen Bedeutung an, die sie ihrer Ton- oder Farbsetzerei, ihren Drehbüchern oder ihrer Stimme beilegen; und es erfüllt sich mit dem Erfolg, daß das Publikum in Sang und Klang, verklecksten Farben und gestaltetem Metall, literarischen Fiktionen und deren schauspielerischer Vorführung eine Bedeutung sucht und sich im großen und ganzen darüber einig wird, eine bedeutende gefunden zu haben.“

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Schon die Rolle des Handwerks in der Kunst wird verkehrt dargestellt. Die Beherrschung der künstlerischen Mittel, nichts anderes bedeutet Handwerk, wird von seinem künstlerischen Zweck bestimmt. Die Vorstellung, es gäbe sozusagen ein gutes jungfräuliches Handwerk ohne Kunst und dazu käme das Verderbnis einer tieferen Botschaft, die dann die Kunst erst ausmacht, geht gründlich an der Sache vorbei. Der Schein eines unabhängig von der künstlerischen Absicht bestehenden Handwerks ist das Ergebnis einer kulturellen Tradition, auf die der Staat wert legt und die er nach Möglichkeit pflegt. Die Berufsbilder der klassischen Künste mit ihrer relativ festgelegten Palette an Fertigkeiten, gibt es, weil der künstlerische Zweck, wie im Falle der reproduzierenden Künste, längst feststeht und nicht erst noch erfunden werden muss. Von Zeit zu Zeit entstehen aber auch völlige neue Richtungen, die dann auch gänzlich veränderte handwerkliche Fähigkeiten erfordern. Deshalb kann es sein, dass das ursprüngliche Handwerk „im Laufe der Karriere überwunden und verlassen werden muss“. Damit wird jedoch nicht das Handwerk überhaupt verlassen, wie im Text angedeutet, das Handwerk verändert sich nur dem neuen künstlerischen Ziel entsprechend. Ein Performancekünstler muss eben andere Fähigkeiten entwickeln als ein Landschaftsmaler, aber deshalb hat er längst nicht das Handwerk verlassen. Übrigens werden auch die neuen Kunstrichtungen mit der Zeit akademiewürdig und werden dadurch zum künstlerischen Berufsbild mit umrissenen Fähigkeiten und Fertigkeiten.
Die Trennung von Handwerk und tieferer Botschaft verfolgt im obigen Text die Absicht die Botschaft als äußerliche Zutat darzustellen, die dem künstlerischen Produkt nur „beigelegt“ wird, als wäre sie nur eine erfundene Behauptung des Künstlers, die nichts mit seinem Werk zu tun hätte. Die eigentliche Leistung des Handwerks, die gerade in der Inkorporation der künstlerischen Absicht besteht, wird damit geleugnet. Dem Publikum ge- oder missfällt eurer Ansicht nach ebenfalls nicht das Kunstwerk, sondern sie fallen auf die großsprecherische Behauptung des Künstlers herein, das Werk besitze eine tiefere Botschaft. „Das Künstlertum ...erfüllt sich in dem Erfolg, dass das Publikum ... eine tiefere Bedeutung sucht“ und findet. Kunst ist demnach das vom Werk getrennte Palaver, das Künstler und Publikum miteinander veranstalten.

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„Für die entsprechende Anleitung des Publikums zu solchem Getue stehen verhinderte Künstler zur Verfügung, die es in keinem Metier zu den nötigen handwerklichen Voraussetzungen gebracht haben und die deswegen rein theoretisch die tiefere Bedeutung ermitteln - oder auch vermissen-, die sonst im schönen Klang und unterhaltsamen Spiel womöglich verloren gehen könnte: die Kunstkritiker.“

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Da in eurer Beschreibung die „tiefere“ Botschaft als leere Behauptung erscheint, ist auch die Suche des Publikums danach nur hohles „Getue“, das nach professioneller Führung verlangt, weil sonst etwas verloren gehen könnte. Aber wenn die Botschaft ohnehin nur aus einer Luftblase besteht, wie sollte sie verloren gehen können. Die Lösung, die ihr anbietet, klingt sehr verschwörungstheoretisch. Die Kunstkritiker veranstalten gemeinsam mit den Künstlern eine gigantische Volksverkohlungsaktion. Beide hätten sich verbündet, um die Wahrheit nicht ans Licht dringen zu lassen. Die Charakterisierung von Kunstkritikern als verhinderte Künstler versucht einerseits zu begründen, warum Kritiker zum selben Menschenschlag gehören und die selben Luftblasen pflegen als die Künstler. Andererseits handelt es sich um bloße Häme, wenn man behauptet die Verlierer, der Abschaum der Künstlerkonkurrenz würde sich gerechterweise in diesem Metier rumdrücken. Wolltet ihr wirklich die kapitalistische Konkurrenz als willkommenes Ausführungsorgan eurer Verachtung gegenüber diesem Berufsstand hochleben lassen? Darüber hinaus ist es ein Widerspruch „wahres“ Künstlertum erst von der Beherrschung des Handwerks zu scheiden und anschließend zu behaupten Kunstkritiker seien verhinderte Künstler, die es nicht zu den nötigen handwerklichen Voraussetzungen gebracht hätten. Wenn wahres Künstlertum sich nicht am Handwerk entscheidet, dann haben Kunstkritiker doch gute Voraussetzungen. Oder?

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„Kunstkritiker und wahre Künstler sind die Verbündeten im Kampf gegen die banale Wahrheit, daß sämtliche Metiers, die den Kunstbetrieb ausmachen, Anlässe und Gegenstände fürs freie Spiel der Einbildungskraft, also Unterhaltung und Genüsse der Phantasie herstellen und sonst nichts.“

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Die banale Wahrheit, die sich Künstler und Kritiker angeblich verschworen haben zu unterdrücken, soll darin bestehen, dass Kunst bloß unterhält und geistige Genüsse bereitet. Diese Konstruktion klingt schon recht abenteuerlich. Da produzieren Künstler Kunstwerke, die geistige Genüsse bereiten und gleichzeitig soll das künstlerische darin bestehen diese Genüsse abzustreiten. Warum der Aufwand die Genüsse erst zu produzieren und dann dagegen zu agitieren? Wenn das Ziel darin besteht den Genuss zu verleugnen, warum ihn dann erst schaffen? Eure Antwort lautet: Mit der Verleugnung werden die tieferen Botschaften unters Volk gebracht. Der Widerspruch bleibt aber bestehen. Wenn es um die Botschaften geht, warum rückt man nicht gleich damit heraus? Warum dieser merkwürdige Umweg einen Kunstgenuss zu produzieren, um ihn dann wegen den Botschaften wieder zunichte zu machen? Auch als Produktionsvorgang ist die Vorstellung von einem zweigeteilten Prozess ein Unding. Die Werke werden in Wirklichkeit einmal produziert. Sie werden nicht erst produziert und dann verdorben.

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„Daß ihre Werke in der Sphäre des gesellschaftlichen Luxus zu Hause sind, macht sie leiden. Denn "bloße" Handlanger des Vergnügens wollen sie nicht sein - als wäre das im Zeitalter Frank Elstners und der Eurovisions-Schlagerkonkurrenz nicht schon eine ganze Menge. Doch ausgerechnet die Verhöhnung jedes Unterhaltungsbedürfnisses durch Shows der Doofheit und nationalistisch verseuchtes Geträller, durch Krimis ohne Spannung, dafür mit meterdick aufgetragener Moral usw. gilt nach einer wahrscheinlich von Kunstkritikern erfundenen Unterscheidung als U wie Unterhaltung, während der Kunst ein E wie Ernst gebühren soll.“

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Dass Kommunisten „Shows der Doofheit und nationalistisch verseuchtes Geträller“ als Verhöhnung jedes Unterhaltungsbedürfnisses empfinden, mag ja durchaus nachvollziehbar sein. Es beweist zumindest, dass das Vergnügen und das Unterhaltungsbedürfnis keine unschuldigen neutralen Kategorien sind, sondern den Kriterien des Zielpublikums folgen. Kommunisten gehören dazu jedenfalls nicht und deshalb braucht es sie auch nicht zu wundern, wenn ihnen manches vergällt wird. An den Einschaltquoten lässt sich jedoch jeden Tag ablesen, dass diese Shows den Massengeschmack sehr wohl treffen. Andernfalls werden sie ruck zuck abgesetzt. Das Unterhaltungsbedürfnis wird also keinesfalls verhöhnt, sondern im Gegenteil prompt bedient und mit immer neuen Showkonzepten dem Zeitgeist angepasst. Wenn man sich von solchen Shows trotzdem eher veräppelt vorkommt, bleibt einem nichts anderes übrig als das Vergnügen und das Unterhaltungsbedürfnis inhaltlich zu kritisieren und ich meine nicht die elitäre Geringschätzung des sogenannten primitiven Massengeschmacks. Man sollte einfach mal beurteilen, woran ein Bürger Gefallen finden muss, um sich durch das Dargebotene unterhalten zu lassen. Das Vergnügen jedoch idealistisch gegen alle hochzuhalten, die es vermeintlich korrumpieren, kratzt nicht mal an der Oberfläche des beanstandeten Kunstbetriebs.

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„Benannt ist damit jedenfalls das Vorurteil, auf das die Macher, Vertreter und Anwälte der Kunst Anspruch erheben. Verlangt ist der Wille, sich von den fraglichen Produkten über gewisse gar nicht alltägliche Sinnfragen belehren zu lassen und anschließend eine Haltung einzunehmen, als würde man "etwas", nämlich mindestens so etwas wie eine ganz neue Erkenntnis, "mit nach Hause nehmen" - wie nach einem Gottesdienst. Denn Dienst will die Kunst schon sein: an etwas höchst Erhabenem nämlich, in das sie dem Publikum Einblick gewährt -und zwar tiefen und durch kein ,bloß rationales' Denken und Argumentieren zu ersetzenden Einblick. Die Frage: In was denn, um Gottes willen? Würde tiefsten Kunstunverstand offenbaren. Falsche Abstraktionen wie Das Leben', ,das Schicksal', ,das Tragische' usw. Sind allemal im Spiel; vor allem aber darf man den "ernsten" Gehalt nie so aussprechen, daß die dürren philosophischen Tiefsinnigkeiten peinlich offenbar werden, die sich dazu allenfalls denken lassen. Der Kunstkritiker muß schon sehr demonstrativ um Worte ringen, um deutlich zu machen, daß eben die Kunst und sie allein die Sprache des Unsäglichen ist; und das Publikum muß seinen "Sinn für Kunst" schärfen, nicht um seinen Genuß zu steigern, der mit einer Kenntnis und Wiederentdeckung des Kontrapunkts oder des goldenen Schnitts allenfalls verbunden sein mag, sondern um der Botschaft des „Unaussprechlichen" teilhaftig zu werden, das der gar nicht herausgehörte Kontrapunkt usw. Ihm zu "sagen haben" soll. Kunst ist eben gelungen, wenn das Publikum sich, unter kritisch-kundiger Anleitung oder auch ohne, die Disziplin auferlegt, sich von dem Dargebotenen an seine krude sonntägliche Lebensphilosophie erinnern zu lassen.
Fragt sich nur, was der Künstler eigentlich tun kann für diesen Effekt. Denn für ihn ist es - im Unterschied zum Publikum - zu wenig, den Gestus tieferer Bedeutsamkeit methodisch vor sich her zu tragen; so unbesehen nehmen die kritischen Sachverständigen und die Gemeinde nun auch wieder nicht die Absicht für die Tat. Ein bißchen Überzeugungsarbeit muß schon geleistet sein, bis am Ende auch noch eine schmutzige Badewanne als Kunstwerk durchgeht. An Endergebnissen dieser Art wird andererseits nur noch einmal besonders deutlich, daß der Weg zu anerkanntem Künstlertum jedenfalls nicht über eine immer weitergetriebene Perfektionierung des Handwerklichen geht - da hat sich sogar ein Thomas Mann eine Zeitlang die urdeutsche Einordnung als "bloßer" Schriftsteller im Unterschied zum wahren und eigentlichen Dichter gefallen lassen müssen. Um den Rang eines anerkannten Künstlers zu erreichen, muß der Unterhalter seinen höchstpersönlichen Trick finden, um den hohlen Gestus der tieferen Bedeutung, die man sich nicht selber ausgedacht, sondern als Botschaft und Auftrag empfangen hätte, dem Unterhaltungswerk einzuprägen. Dabei läßt sich der Umstand ausnutzen, daß weltanschauliche Botschaften sich mit Genuß und Unterhaltung logisch wie wirklich nicht vertragen.“

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Ständig laboriert ihr an dem selben Widerspruch herum. Auf der einen Seite soll die Botschaft nur eine leere, bloß behauptete Zutat zum Kunstwerk sein, auf der anderen Seite merkt ihr doch, dass dieses Nichts, der „hohle Gestus der tieferen Bedeutung“, dem Kunstwerk irgendwie eingeprägt sein muss. Wie man Nichts einem Kunstwerk einprägt, wird exemplarisch ausgerechnet an einem Kritiker des traditionellen, bürgerlichen Theaters, an Bert Brecht, erläutert. Die Ablehnung des illusionistischen Theaters bei Brecht sollte einst verhindern, dass der Zuschauer in das Geschehen eintaucht und sich mit den Figuren identifiziert. Diese sind nämlich im Gegensatz zum bürgerlichen Theater keine idealen Charaktere, an denen man sich ein Vorbild nehmen soll, sondern soziale Charaktere und bürgerliche Charaktermasken, die man distanziert betrachten und beurteilen soll. Die Hauptfiguren sind keine Sympathieträger, sondern führen die Verhältnisse nur vor, in die sie geworfen sind und von denen sie geprägt werden. Brecht hält Moral für ein abzulehnendes idealistisches Konzept, das nicht in der Lage ist, die bedrückenden gesellschaftlichen Zustände zu verbessern. Seine Stücke haben daher nicht die Funktion durch Mitfühlen beim Zuschauer eine moralische Reinigung zu bewirken und dadurch seine Moral zu stärken, wie das alte aristotelische Theater das tut. Das Motiv für die Verfremdungseffekte besteht also in der moralkritischen antibürgerlichen Absicht seiner Stücke. (Übrigens: Auch die Songs von z.B. Brecht und Weil zählen zu diesem Verfremdungseffekt, weil sie die eigentliche Handlung unterbrechen. Wollt ihr im Ernst behaupten, die würden den Genuss der Theaterstücke verderben. Mittlerweile sind diese Songs immerhin international zu Klassikern der Unterhaltungsmusik avanciert. Brecht lehnte den Genuss ja nicht generell ab, sondern nur die spezielle bürgerliche Art, die durch Identifikation moralische Erbauung bewirken soll.) So eine Erklärung, die aus dem Inhalt die Form des Stücks erklärt, findet sich im Text natürlich nicht, denn der Inhalt besteht ja angeblich bloß aus heuchlerisch-hohlem Getue. Ihr behauptet lieber, entgegen Brechts ausdrücklicher Absicht, die Verfremdung sei das Paradebeispiel des Tricks, der bürgerliche Kunst erst zur Kunst macht. Von diesem Trick erfährt man nur, dass er unterschiedlich ausfällt und bei den reproduzierenden Künstlern aus den Marotten im Umgang mit dem Stoff besteht. Also wieder spielen keine inhaltlichen Überlegungen z.B. zum Zeitgeist eine Rolle, sondern alles löst sich in bloße Spinnerei der Produzenten auf. Ursprünglich wollte dieser Abschnitt eures Artikels wissen, wie die nichtige Botschaft dem Werk eingeprägt wird. Die Beschreibung des Handwerks würde diese Frage eigentlich leicht beantworten. Daher wird dem Leser vorsichtshalber gleich mitgeteilt, dass das Anfertigen einer schmutzigen Badewanne mit Handwerk nichts zu tun hat, dass also das Verhältnis von Mittel und Zweck nicht behandelt werden soll. Würde man das Verhältnis von Inhalt und Form erörtern, müsste man die Existenz eines künstlerischen Inhalts ja zugeben. Denn ein Verhältnis setzt die Existenz beider Seiten voraus.

Die Frage nach den bildnerischen Mitteln soll daher nur dem berechtigten Einwand zuvorkommen, dass Kunst doch mehr sei als die intellektuelle Heuchelei einer tieferen Botschaft. Die Heuchelei bräuchte man ja nur ignorieren und schon stünde dem Kunstgenuss nichts mehr im Wege. Um die tiefere Botschaft unters Volk zu bringen, müsse deshalb dem Kunstwerk zwar etwas eingeprägt werden, aber nicht diese Botschaft selbst, sondern alle möglichen Tricks, Kniffe, Marotten, die dem Ziel dienen, den Genuss zu vereiteln. Der vereitelte Genuss lenke quasi die Aufmerksamkeit wieder weg vom Kunstwerk und hin zum unsinnigen Tiefsinn.

Künstler und Kunstkritiker erhalten dadurch einen sozusagen satanischen Zug. Sie sind die Geister, die stets verneinen. Selbst wenn man vom Gehalt geistiger Ergüsse absieht, die weiter unten noch erläutert werden, und auch von der inhaltlichen Spezifik absieht, die eine Verneinung gehaltvoller geistiger Genüsse haben muss, um verneinen zu können, so bleibt immer noch ein formaler Widerspruch. Verneinung setzt die Existenz des Verneinten voraus. Oder nach Quentin Tarantino: Wenn es den Teufel gibt, muss es auch Gott geben. Wenn der Genuss verneint werden soll, muss es ihn vorher gegeben haben. Nicht zufällig wird die Verneinung im Artikel an den reproduktiven Künsten plausibilisiert. In diesem Bereich gibt es tatsächlich ein Kunstwerk, das existiert und durch die Aufführungspraxis verdorben werden kann. Aber wie kam das ursprüngliche Kunstwerk und alle anderen Kunstwerke zustande, die nicht reproduktiver Natur sind. Diese Werke wurden nicht erst zum Genießen geschaffen und dann zusätzlich noch versaut. Entweder das eine oder das andere. Wurden sie zum Genießen geschaffen, ist die Legende von den Genussverderbern verkehrt. Wurden sie versaut, muss man sich von der Prämisse verabschieden, Kunstwerke würden eigentlich „Unterhaltung und Genüsse der Phantasie herstellen“.

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„Umgekehrt wird so etwas wie ein Rezept daraus: Das dargebotene unterhaltsame Spiel der Einbildungskraft zu (zer-) stören, kann den Anschein rüberbringen, daß der Künstler es irgendwie fürchterlich ernst meint mit seinem Opus. Was Brecht als Beendigung des schöngefärbten künstlerischen Luxus und Übergang in den Ernst des wirklichen Lebens, d. h. einer praktisch wirkenden Erkenntnis gemeint hat, die "Verfremdung", erfüllt nicht bloß in seinen Werken den Tatbestand eines dramaturgischen Kniffs; so etwas ist überhaupt der "Kunstgriff“ der Kunst. Der fällt natürlich je nach Metier anders aus und auch unterschiedlich schwer. Bei der Reproduktion von Kunstwerken fällt das Künstlertum, das schöpferische, das die handwerkliche Könnerschaft überschreitet, so ziemlich mit den Allüren zusammen, die eine Souveränität der aufführenden Mannschaft resp. Ihres Regisseurs oder Dirigenten gegenüber den vorliegenden Noten oder Texten demonstrieren; und man kann froh sein, wenn diese Kunst das Werk nicht vollends ungenießbar macht. Bei der Anfertigung neuer Beiträge zur Kunstgeschichte bietet der amorphe Stoff-Wörter, Töne, Farben, Striche usw. - einerseits mehr Freiheiten, für Ungenießbarkeit zu sorgen; da liegt die Schwierigkeit eher darin, daß immerhin noch so etwas wie eine Erzählung, ein als solches identifizierbares Stück Musik, ein zur Betrachtung geeignetes und womöglich reizendes Werk usw. herauskommen muß, mit dem die Kunstgemeinde sich befaßt. Denn deren Kunstverstand ist im Normalfall ja doch noch mehr die Heuchelei, die ein gebildetes Unterhaltungsbedürfnis überhöht, und nur ausnahmsweise ein Wahn, der dieses ersetzt. So bleibt dem Künstler, der sich im Interesse seiner unsäglichen Botschaft von allem Überkommenen befreit, immer noch das zu seinem Metier gehörige Leid erhalten, ein ihm gar nicht adäquates, mit schlechtem Geschmack ausgestattetes Publikum unterhalten zu müssen, damit er es zu den angepeilten Erbaulichkeiten verführen kann.“

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Vermutlich hat das Märchen von den über jeden Zweifel erhabenen Genüssen, damit zu tun, dass sich Linke für Materialisten halten. Die Natur hat die Bedürfnisbefriedigung als genussvollen Vorgang eingerichtet. Sie belohnt damit das Individuum dafür, dass es den körperlichen Notwendigkeiten nachkommt. Daher kommt wohl das Vorurteil, dass Genüsse grundsätzlich als positive, objektive körperliche Reaktionen angesehen werden. Geistige Genüsse sind aber weit weniger natürlich festgelegt. Ob ein Stoff stinkt oder nicht, kann man nicht beeinflussen. Aber ob ein geistiger Erguss positiv als Genuss oder negativ als Ärgernis empfunden wird, hängt von den persönlichen Maßstäben ab. Geistiger Genuss unterstellt einen Inhalt, der mit den individuellen Kriterien verglichen wird und im Ergebnis als positiv oder negativ empfunden wird. Kunst soll natürlich im allgemeinen positiv als Genuss empfunden werden. Damit das gelingt muss der geistige Gehalt des ästhetischen Produkts mit den Maßstäben der Konsumenten konform gehen. Kritikabel ist das nur, wenn der geistige Gehalt die bürgerlichen Ansichten der Konsumenten bedient. Dann handelt es sich um bürgerliche Kunst.
Die bürgerliche Befindlichkeit, die im allgemeinen mit Kunst angesprochen werden soll, nennt sich Zeitgeist. Der Zeitgeist besteht aus der alltäglichen Lebensphilosophie, die sich der Bürger zum Aushalten, der von Staat und Kapital aktuell durchgesetzten Maßnahmen, zurechtgelegt hat. Er ist die mit den Fortschritten von Kapital und bürgerlicher Gesellschaft sich andauernd ändernde Art und Weise der Affirmation der Verhältnisse. Oder anders ausgedrückt: Der Zeitgeist ist die geistige Selbstunterordnung des Individuums unter die gegenwärtig geltenden Ansprüche des Gemeinwesens gegen es. Die geistige Selbsteinordnung vollzieht zwar jeder für sich, aber unter Anleitung der Medien und mit der feststehenden Zielsetzung fallen die Resultate sehr ähnlich aus. Im Zeitgeist entsteht ein geistiges Band, das die Grundlage der demokratischen Massenkultur bildet.
Mit ihrer Kunst versuchen die Künstler den Nerv der Zeit zu treffen und am Erfolg lässt sich ablesen, wie gut das gelingt. In der Huldigung bzw. in der idealistischen Interpretation des Zeitgeists liegt die Systemkonformität der Künstler begründet. Der Genuss solcher Kunst bietet dem Konsumenten die befriedigende Genugtuung auf jeden Fall richtig zu liegen mit der Lebensphilosophie, die er sich zu seiner momentanen Lage zurechtgebastelt hat. Der Genuss bürgerlicher Kunst ist der ideelle Lohn für die Affirmation der Verhältnisse. Deshalb sind die künstlerischen Botschaften auch nicht mit Begriffen zu vergleichen. Als ideelle Unterstützung beim Aushalten einer misslichen Lebenslage ist es ihnen durchaus angemessen, dass es sich um „falsche Abstraktionen“, „dürre philosophische Tiefsinnigkeiten“, verkehrte Vorstellungen, Ideale, Leitbilder usw. handelt. Wahrheiten wären dafür sicher nicht tauglich. Statt aber die Funktion dieser Botschaften zu benennen und zu kritisieren, die notwendig einen falschen ideologischen Gehalt erfordert, fällt euch nur ein, den aufgeblasenen Gestus und die Inhaltslosigkeit zu blamieren. Statt den Inhalt zu beurteilen, den auch noch ein falscher Gedanke unterstellt, und sich zu fragen wozu er denn taugt, wenn er die Welt nicht erklärt, vergleicht ihr ihn lieber mit euren Begriffen von der Welt und kommt zu dem Ergebnis, dass er im Vergleich dazu ziemlich inhaltsleer dasteht.
Der Bürger genießt also durchaus, was ihm in der Demokratie an Kunstprodukten so vorgesetzt wird. Dass Kommunisten an solchen Produkten keine Freude haben, sollte nach dem Gesagten, kein Rätsel mehr sein. Deswegen aber Künstler als professionelle Genussverderber zu bezeichnen, macht den Fehler das eigene Verhältnis zur Kunst zur Bestimmung der Produzenten zu erheben. Ebenso wenig kann der Umstand, dass Kommunisten bürgerliche Ideologien nicht genießen können, die Behauptung begründen, Genuss und Weltanschauung wären unvereinbar.

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„Nach einem Numerus clausus, den keine staatliche Instanz verhängt - sogar mit öffentlichen Beförderungen durch Staatsaufträge und -preise schließen sich demokratische Obrigkeiten meist dem Urteil des kunstverständigen Publikums an-, kommt es dann doch in jeder Branche zu dem notwendigen Quantum kunstschaffender Elite, die für die heimische Kulturnation Ehre einlegt. An ehrgeizigem Nachwuchs fehlt es ohnehin nicht für die unendliche Fortführung des lächerlichen Schauspiels, daß die Produzenten der freiesten und luxuriösesten Unterhaltung sich dabei allen Ernstes an der Verfertigung der Botschaft abarbeiten, sie würden sich gerade - mit den Mitteln der Phantasie und ihrer Genüsse - an den wichtigsten weltanschaulichen Sinnfragen abarbeiten. So kommt immerhin jeder Beteiligte auf seine Kosten: die Sinnfrage die im Getue der Kulturaffen tatsächlich am besten und angemessensten aufgehoben ist; das Publikum, das nicht einmal seiner Phantasie einen Spaß gönnen will, auf den es sich nicht durch moralische Grübeleien ein Recht erworben hat; die Kunstkritiker, die jeder Regung ihrer Deutungsanreger einfühlsam nachspüren und dem Publikum von Theaterereignissen vorschwärmen und entzauberte Tonwunder zu Gemüte führen, so daß sich die große Mehrheit glatt jeden Kunstgenuß sparen kann - sie hat ja durch den Kulturteil der Zeitungen lebendigen Anteil am Kulturbetrieb; der Staat, der sich durch diesen Betrieb mit der Lüge schmückt seine Gewalt gründe auf Geist, Sinn, Moral und anderen erhabenen Dingen - und nicht umgekehrt; und natürlich die Künstler. Die konkurrieren mit ihrem Leiden am Zwiespalt zwischen Scherz und Ernst; kokettieren damit und dementieren natürlich, daß sie auf den Beifall scharf sind, von dem sie abhängen, obwohl doch allemal eine Berufung höherer Art sie ereilt hat. Und in den reichlich fließenden Fördermitteln, die eine nationalkultur-beflissene Herrschaft ihnen zukommen läßt, entdecken sie manchen Anschlag auf die Freiheit, die wahre, künstlerische nämlich, weil die ministeriellen Auftraggeber bei manchem gewollt originellen und gewagten Phantasieprodukt glatt die rechte Botschaft vermissen und den Geldhahn zudrehen.
Dann ist für die allerfreiesten Staatsdiener regelmäßig die Demokratie und das Abendland in Gefahr, die schließlich dazu da sind, Künstler der schnöden Alltagssorgen und des plumpen Massengeschmacks zu entheben, so sie nicht gerade für den karajanen, derricken oder siegeln. Wenn andererseits die Selbstmordquote bei den Kulturbeuteln sich im Rahmen hält, dann läßt sich daraus die beruhigende Gewißheit schöpfen, daß das gesunde bürgerliche Verhältnis Zwischen Sinn-Heuchelei und materieller Berechnung auch bei den professionellen Exzentrikern der bürgerlichen Gesellschaft im großen und ganzen in Ordnung ist.“

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Für falsche Theorien gibt es zwei mögliche Ursachen. Entweder ihnen liegt ein Irrtum zu Grunde oder sie sind das Resultat interessierten Denkens, also Ideologie. Als Irrtum hat sich der Begriff der geistigen Genüsse erwiesen, die in verkehrter Analogie zu den körperlichen Genüssen im Artikel als grundsätzlich gut (d.h. als Erfüllung vernünftiger materialistischer Forderungen) eingestuft werden. So erklärt sich der verzweifelte Versuch sie gegen alle Verderber verteidigen zu wollen. So erklärt sich weiterhin die falsche Prämisse, Weltanschauung und Genuss würden nicht zusammenpassen. Mit der Festlegung der guten Seite fällt dann auch die Identifizierung der bösen leicht. In Gestalt von Künstlern und Kunstwissenschaftlern macht sie mit allerlei Verfremdungstricks den guten Genuss zunichte, um ihre Botschaften unters Volk zu bringen.
Allerdings passen diese Irrtümer auch sehr gut zu dem Interesse als Kommunist aus der kapitalistischen Kunstproduktion seine geistigen Genüsse ziehen zu wollen und sich diese von niemandem verderben zu lassen, am allerwenigsten von genussfeindlichen Künstlern und Kunstwissenschaftlern. Schließlich halten sich Materialisten für die wirklichen Genussexperten. Vor allem die unsinnige Vorstellung eines Bündnisses beider Berufsstände gegen die Wahrheit der Kunst, legt diesen Schluss nahe. Als Selbstrechtfertigung mögen solche Überlegungen ja funktionieren. Für den Genuss bringen sie aber leider nichts, da Genuss und Botschaft durch die handwerkliche Tätigkeit des Künstlers untrennbar miteinander verschmolzen wurden. In den meisten Fällen kommt man daher trotz aller Abstraktionsversuche um die ärgerliche weltanschauliche Botschaft nicht herum. Das merken Kommunisten auch, egal welche Theorien sie sich ausgedacht haben, um darüber hinwegsehen zu können.

Das Kapitel „Beruf Künstler“ ist einfach verkehrt und sollte gestrichen werden. Denn es trifft weder den Berufsstand der Künstler und Kunstwissenschaftler noch die Kunst. Er eröffnet auch keine ästhetischen Genüsse, sondern verschafft höchstens ein gutes Gewissen bei dem krampfhaften Versuch der kapitalistischen Kunstproduktion doch noch etwas Gutes abzugewinnen.

Ende

"dann unterstellt dies doch schon eine inhaltliche Kritik, die du immer forderst. Hier wird doch auch der bürgerliche Inhalt der Kunst, moralische Erbauung zu sein, kritisiert." Wie kann eine inhaltliche Kritik unterstellt sein, wenn ein Inhalt explizit geleugnet und als bloßes Getue dargestellt wird.

"Hier vergleicht der GSP doch nicht einfach den Begriff des bürgerlichen Genuss mit seinem eigenen und verwirft ersteres, wie du schreibst. Er sagt dort ja nicht, die Leute hätten keinen Spass, sondern sagt, das selbst auf dem Feld der Phantasie die Ideologie wirkt." Doch das tut er indem er Moral und Spaß als Gegensätze ansieht. Den wertfreien Spaß gibt es halt nicht. Was als Spaß angesehen wird, hängt von den Urteilen ab. Da wird so getan als seien Bürger bierernste Spaßmuffel, die sich noch nicht mal locker vom Hocker einen coolen "Spaß" erlauben wollen. Dasist natürlich Blödsinn. Die machen Späße am laufenden Band, nur kann unsereiner nicht darüber lachen.

"Warum sich der GSP selbst einen Widerspruch damit schafft, dass er sagt die tiefe Botschaft ist einerseits leer, andererseits moralisch erbaut, verstehe ich auch nicht ganz." Mit was soll die Botschaft denn erbauen, wenn sie leer ist. Oben hast du übrigens noch behauptet ein Inhalt sei unterstellt. Jetzt gibst du zu, dass der Gsp behauptet die Botschaft sei leer.

"Auf der anderen Seite wird von ML im KF betont, dass es sich dabei nicht um eine Kunsttheorie handelt, sondern um eine Kritik der in den bürgerlichen Jobs der Elite gängigen Ideologien." Man kann eben an der verkehrten Kritk des Künstlerelitejobs ablesen, dass eine falsche Kunsttheorie zu Grunde liegt. Deshalb wurde die gleich mitkritisiert.

Man lese übrigens die Kritik von S. Staake auf Filmszene.de zu Tarantinos Deathproof. Da wird genau nach diesem Muster eine Kritk abgezogen. Als hätte er den GSP-artikel gelesen und wollte jemand ein Zeichen geben, dass er auf Wunsch auch Mist verzapfen kann. Die Kritk liegt meilenweit neben dem Film, will ihn eigenlich gar nicht zur Kenntnis nehmen.

"Der GSP sagt: kein Spass der nicht ohne moralische Erbauung in der bürgerlichen Kunst von statten geht" Der Ansicht bin ich gerade nicht. Der Gsp sagt, dass Spaß und moralische Erbauung ein Widerspruch sei. Moralische Erbauung verderbe den Genuss und das stimmt halt beim Bürger überhaupt nicht, weil er die Erbauung genießt. Auf diese Idee kommt man bloß, wenn man das, was ein Kommunist unter Spaß versteht zum Maßstab dessen macht, was Spaß ist. Daran wird dann die Kunst blamiert und dann ist sie kein Spaß und kein Genuss (für Kommunisten), sondern bloßes inhaltloses Getue. Die bürgerliche Kunst wird am Maßstab dessen, was man selbst für Spaß hält abgeurteilt. Und das ist eben kein objektives Urteil, sondern ein Urteil, das das eigene Verhältnis zu den bürgerlichen Kunstprodukten zum Masstab dessen macht, was Kunst sei.

"Du sagst: die moralische Erbauung ist nur der spezifisch bürgliche Charakter der Kunst. Bei der kommunistischen Kunst wäre etwas anderes das spezifische Charakteristikum, aber es gibt keine Kunst ohne "Botschaft". Ist das so einigermaßen zusammengefasst?" Ja. - "Finden sich dort Wahrheiten?" Um Wahrheiten geht es in der Kunst nie, sondern um geistige Genüsse.

"Und was mit Dingen in denen gar keine gesellschaftlichen Themen abgearbeitet werden, sondern nur Gefühle, wie in der (textlosen) Musik?" Gefühle sind ja nichts übergesellschaftliches. Scham, Romatische Liebe, Betroffenheit usw. sind Gefühle, die für die bürgerliche Gesellschaft kennzeichnend sind. Es ist ein weitverbreiteter Irrtum, dass Gefühle inhaltlos wären.

26.ApriI 1988
Das Stichwort: Gefühl & Verstand
Daß diese beiden einen Gegensatz bilden, gilt im Reich der Wissenschaft als ausgemacht Ebenso, daß jeder dieser beiden Pole vom Standpunkt des jeweils anderen sein Plus und Minus verdient hat. So darf bei "Gefühl" in Abgrenzung zur "kalten Intelligenz", die sich manches Zerstörungswerk nachsagen lassen muß, alles Gute assoziiert werden: Von "echt" über "unmittelbar" bis "harmoniestiftend" reichen die dem Gefühl zugesprochenen Attribute, und ein ganzes Geschlecht rühmt sich, diese Vorzüge des Fühlens so ziemlich gepachtet zu haben. Sogar in den Rang eines unwidersprechlichen Arguments hat man das Gefühl erhoben: "Ich empfinde es eben so !"
Solcher Mißbrauch des Gefühls als Argumentersatz leuchtet genau denselben Leuten schwer ein, die andererseits dem Gefühl den harschen Vorwurf fehlender Vernunft zu machen verstehen. Da fängt man sich schon mal leicht den Vorwurf der weltfremden Gefühlsduselei oder auf Lateinisch: emotionaler Argumentation ein, wenn man sich über eine Unschönheit der bürgerlichen Welt empört. So jemand muß sich dann sagen lassen, daß er es an der nötigen "vernünftigen" Distanz fehlen lasse, die dann nicht kalte Intelligenz heißt. Offenbar denken bürgerliche Geister eben bei Gefühl und Verstand immer nur an das Eine: Die Anpassung an die bürgerlichen Realitäten wird einem Willen abverlangt, wann immer er in dem Verdacht steht, sich der Abweichung schuldig zu machen. Und diese klagen solche Leute an, wenn sie einmal gefühlskalte Intelligenz, das andere Mal unvernünftige Gefühlsduselei monieren. Die Fähigkeit, Fühlen und Nachdenken, diese unterschiedlichen Formen der Willensbetätigung, richtig zu unterscheiden, leidet unter dieser Parteilichkeit allerdings ein wenig.


Vom Fühlen und Denken
Im Gefühl mißt das Individuum die Lage, in der es sich befindet, an seinem Bedürfnis und empfindet die Übereinstimmung oder Differenz von seinsollendem und vorliegendem Zustand als angenehm oder unangenehm:

"Der fühlende Wille ist daher das Vergleichen seines von außen kommenden, unmittelbaren Bestimmtseins mit dem durch seine eigene Natur gesetzten Bestimmtsein. Da das letztere die Bedeutung dessen hat, was sein soll, so macht der Wille an die Affektion die Forderung, mit jenem übereinzustimmen. Diese Übereinstimmung ist das Angenehme, die Nichtübereinstimmung das Unangenehme." (Hegel Enz.III §472, Hervorhebungen im Original)

Die besonderen Arten des Gefühls - Freude, Furcht, Ärger, Trauer, Zuneigung, Scham etc. - ergeben sich daher aus den beiden Seiten des Vergleichs; dem, was sich das Individuum als erwünschte Lage vorgenommen hat einerseits und der Bewertung der vorfindlichen Situation andererseits. Furcht, "das Gefühl meines Selbstes und zugleich eines mein Selbstgefühl bedrohenden Übels" (ebd.), empfindet nur, wer seine Lage als gefährlich einschätzt, statt sich in Sicherheit zu wiegen. In der Scham z.B. empfindet der Mensch die Abweichung seines Tuns von einer von ihm gebilligten Pflicht, was ein mit moralischen Maßstäben ausgestattetes Individuum voraussetzt.

Der Maßstab, an dem das Subjekt die Welt im Fühlen mißt, ist dabei ebensowenig Gegenstand der Reflexion wie die Beurteilung der Situation. Beides ist vorausgesetzt. Dabei können ganz zufällig gewählte Gesichtspunkte, die keinem Argument je standhalten würden, ebenso zur Anwendung kommen wie andere, denen ein fertiges Weltbild zugrunde liegt. Wer am Montagmorgen gerade mal die richtige Konsistenz seines Frühstückseies zum Dreh- und Angelpunkt seines Lebensgefühls erkoren hat, dem mag ein zu hart gekochtes Ei die Laune für den Tag verderben. Wer bei der Nationalhymne von einem wohligen Schauer ergriffen wird, der hat schon mehr mit sich angestellt, als sich den Zufälligkeiten von Launen hinzugeben. Der muß schon das Urteil über seine Nation im Hirn haben, er sei in ihr bestens aufgehoben. Und Ärger über Reagens Beschluß, die Contras in Nicaragua vermehrt zu finanzieren, wird auch nur empfinden, wer eine Kritik an den US-Vorhaben in Nicaragua hat.

Das Individuum bringt also u. a. die Quintessenz seiner Einsichten über die Welt als Maßstab des Fühlens zur Anwendung, ohne sich die Gründe dafür jeweils neu vorlegen zu müssen. Ihm ist z.B. seine Stellung zum Nicaraguakrieg gewiß, und der Ärger stellt sich deshalb automatisch ein, ohne daß es sich seine Einwände gegen diesen Krieg in Erinnerung rufen müßte. Daher können sich Gefühlsurteile auch von Verstandesurteilen trennen. Die neu gewonnene Einsicht, daß Eifersucht ein Fehler ist, fällt nicht zusammen mit der Korrektur des gewohnheitsmäßig und selbstverständlich im Gefühlsurteil angelegten Maßstabs, so daß man in diesem Fall nicht umhinkommt, sich zu kritisieren, wenn man sich im alten Fahrwasser ertappt. Im praktischen Gefühl liegt ein Widerspruch welcher seine vernünftige Auflösung im Übergang zum Verstandesurteil findet: Der Vergleich von sich mit der Welt wird vom Individuum angestellt, weil es die praktische Übereinstimmung seiner objektiven Lage mit seinen Interessen will. Zugleich verhält es sich im Fühlen passiv. Es läßt sich von einer ihm vorausgesetzten Realität beeindrucken. Wer sich über etwas ärgert, wird es daher rationellerweise nicht beim Ärgern, dem Konstatieren von Abweichung belassen, sondern darauf sinnen, den Grund seines Ärgers zu beseitigen.

"Im praktischen Gefühl ist es zufällig, ob die unmittelbare Affektion mit der inneren Bestimmtheit des Willens übereinstimmt oder nicht. Diese Zufälligkeit, dieses Abhängigsein von der äußeren Realität, widerspricht dem sich als das An-und-für-sich Bestimmte erkennen den, die Objektivität in seiner Subjektivität enthalten wissenden Willen. Dieser kann deshalb nicht dabei stehenbleiben, seine immanente Bestimmtheit mit dem Äußerlichen zu vergleichen und die Übereinstimmung dieser beiden Seiten zu finden, sondern er muß dazu fortschreiten, die Objektivität als ein Moment seiner Selbstbestimmung zu setzen, jene Übereinstimmung, seine Befriedigung also selber hervorzubringen." (ebd. § 473)

Wer es darauf abgesehen hat, seine Lebensumstande seinen Interessen gemäß zu machen, sollte sich dabei allerdings nicht von seinem Gefühl leiten lassen. Wenn nämlich die richtige Abhilfe gefragt ist, dann bedarf das der Loslösung von der Befangenheit im vergleichenden Urteil zugunsten einer objektiven Prüfung der beiden Seiten des Vergleichs. Zur Klärung der Frage, warum ein ärgerlicher Zustand herrscht, damit man weiß, wo der Hebel der Änderung anzusetzen ist, trägt das Gefühlsurteil, daß er vom Ideal abweicht, wenig bei. Wer Angst hat, seine Bremsen könnten versagen, der sollte sich weder der Empfehlung der Psychologie anschließen, seine Angst in gruppendynamischen Sitzungen zu bearbeiten, noch sollte er die psychologische Lüge glauben, Angst sei ein Mechanismus, der zu sinnvollem Fluchtverhalten führe. Vielmehr empfiehlt es sich, seinen Verstand zu gebrauchen und die nächste Werkstatt anzulaufen. Wenn es darum geht, den Grund der Angst zu beheben, ist Angst wirklich der schlechteste Ratgeber.

Die Bürgerliche Ideologie: Gefühl gut -Verstand schlecht...
Die bürgerliche Manier, Gefühl und Verstand nicht zu unterscheiden, sondern mit moralischen Plus- und Minuspunkten zu versehen, will dem Fühlen das Lob zuteil werden lassen, hier herrsche keine "Zweckrationalität". Fühlen bürge daher im Gegensatz zum Verstand für "liebende Hingabe", Harmonie und wie die Attribute alle heißen. Diese

Übersetzung hat zwar die Wahrheit nicht auf ihrer Seite, denn Zweckfreiheit kennzeichnet ein fühlendes Individuum sicher nicht; und wer einmal einen Wutausbruch erlebt hat, mag auch die harmoniestiftende Qualität des Gefühlslebens bezweifeln. Aber dieses falsche Lob der Emotion plaudert immerhin aus, welches Moment bürgerlichen Ideologen am Fühlen so gut gefällt. Daß der Mensch sich im Gefühl nicht theoretisch zum Herrn der ihn umgebenden Lebensumstände macht, das hat es ihnen angetan. So sehr, daß sie diese negative Bestimmung, Fühlen sei nicht Begreifen und Bestimmen der Welt, zur Eigenart des Gefühls machen. Im Willen zum Begreifen der Realität vermuten sie nämlich die Absicht, sie nach eigenem Bilde zu formen. Und in dieser menschlichen Schwäche, auch Egoismus genannt, liegt bekanntlich die Quelle aller Übel, vom Krieg bis zur Atomkraft. Dabei muß man nur die kleine Verwechslung unterschreiben, alles Mißliebige auf der Welt verdanke sich der Tatsache, daß "der Mensch" sich "die Schöpfung untertan" machen will und nicht etwa dem Inhalt der in dieser Republik qua Gewalt verbindlich gemachten Ziele von Kapital und Staat.

... und umgekehrt
Nichts belegt schöner, welcher Standpunkt dem Gefühl solche Ehren eingebracht hat, als das perfide Lob des Verstandes, das aus derselben Quelle stammt: Die Aufforderung "Sei doch vernünftig!" und "Reagier doch nicht so emotional!" ist nicht mißzuverstehen als Aufruf, für die eigene Sache die Vernunft zu bemühen. Hier handelt es sich m einen Ordnungsruf, der dann ergeht, wenn jemand in den Verdacht gerät, sein Interesse zum Maß der Dinge zu erheben, statt die "Vernunft" der Anpassung an das Vorhandene zur Richtschnur seines Treibens zu machen. Dieser Vorwurf, "bloß emotional" zu sein, wendet sich daher auch gegen Äußerungen, die sich ganz auf dem Feld des Argumentierens bewegen. Daß "Angst ein schlechter Ratgeber ist", diese Kritik haben sich zu Nachrüstungszeiten Friedensbewegte eingefangen, die Einwände gegen diesen Aufrüstungsschritt zu machen wussten. Hier fällt eben denselben Leuten, die ansonsten das Gefühl als Hort der Zweckfreiheit hochleben lassen, ein Mangel des Gefühls ein. Das Gefühl kann sich nämlich ganz subjektiv gewählte Gesichtspunkte zur Meßlatte machen, die gar nicht zur gewünschten Deckung von Individuum und Realität führen, die man doch dem Gefühl so gern als Leistung bescheinigt. Daß diese Feststellung einer Abweichung dasselbe wie eine Kritik ist, wissen Leute ganz genau, die verlangen, daß man sich seine Maßstäbe fürs Fühlen und Urteilen bei den herrschenden Instanzen abzuholen hat. Wer die Gleichung verletzt, Vernunft sei dasselbe wie selbstbewußtes Sich-fügen, dem wird mit dem Totschläger "bloß gefühlsgeleitet" mitgeteilt, daß er das Recht auf argumentative Befassung verwirkt hat.

In bester Gesellschaft
Mit dem Lob auf die Vernunft als Kontrollinstanz gegen die "subjektive Willkür* befindet sich die Wissenschaft also In bester Gesellschaft. Ebenso mit der Verherrlichung des Gefühls als Bürge gegen menschliche Amtsanmaßung. Welcher Kohl wüßte denn nicht, daß unsere Kultur im allgemeinen und die Erziehung im besonderen an einer "Überfrachtung" mit Ratio krankt, die, weil zutiefst inhuman, einer echten "Herzensbildung" Platz machen sollte?
Auch die politisch Verantwortlichen wissen eben am Gefühlsurteil sehr zu schützen, daß hier ohne "Hinterfragen" geurteilt wird. Die gewünschten nationalen Ideologien, wollen sie der Prüfung durch den Verstand nämlich lieber nicht aussetzen. Der nimmt sich ja am Ende die Freiheit heraus, die Zustimmung zum großen Ganzen von dafür gelieferten guten Gründen abhängig zu machen. Und da es solche offenbar nicht gibt, hängt man dem Manipulationsideal an, das "Pro"; möge sich ohne Infragestellung durch die Ansprüche der Vernunft ins Gefühl versenken lassen. Auch diese Vorstellung hat zwar die Wahrheit nicht auf ihrer Seite, denn der gefühlsmäßige Zuspruch zur Nation hängt allemal davon ab, daß ein Mensch sich dafür (verkehrte) gute Gründe zurechtgelegt hat. Sie kündet aber immerhin davon, wie unbedingt demokratische Politiker den Nationalismus im Volk verankert sehen wollen.

Fazit:
Die Entgegensetzung von Gefühl und Verstand, die am Gefühl die "Abwesenheit von Zweckrationalilät" und die Vernunft als Zügel gegen die "subjektive Willkür" des Gefühls schätzt, stellt der bürgerlichen Gesellschaft kein gutes Zeugnis aus. In beiden Fallen steht nämlich die freie Stellung am Pranger, die die Welt an den eigenen Interessen mißt und den Standpunkt zu ihr vom Ergebnis dieser Prüfung abhängig macht,

Im Kasten: "Aber ich empfinde es so!"
So beruft sich mancher aufs Gefühl, um einen Standpunkt gegen Einwände zu rechtfertigen. Gerade so, als sei das Fühlen eines Menschen etwas so Hochwertiges und Unwidersprechliches, daß man den darin ausgedrückten Willen auch gleich zu respektieren statt zu kritisieren hat. Vorsicht! Auch der letzte Faschist hat den Haß gegen die Juden und die Liebe zu Deutschland, für das er gemordet hat, ganz tief empfunden. Das macht die Sache doch nicht besser, oder?

"Wie willst du denn Note(n) Scham erkennen?" Ist doch egal ob jetzt Scham oder ein anderes Gefühl. Lies mal den Artikel "Gefühl und Verstand", dann verstehst du, warum auch Gefühle einen Inhalt haben. Und dass ein Musikstück traurig, heiter, pathetisch, jammernd, lyrisch, beschwingt, festlich usw. sein kann, brauch ich hoffentlich nicht zu beweisen. Und dass es Unterschiede z.B. in der Art der Festlichkeit gibt, da also auch nähere Bestimmungen möglich sind, sollte auch ziemlich unmittelbar einsichtig sein. Ob es sich um die Festlichkeit einer Drogenparty der 60er, die Krönungsfeier eines englischen Königs, die Einweihung des Suezkanals, ein Tanztee, ein Ball, oder ein Volksvergnügen (Polka)handelt, für jeden Anlass gibt es eine entsprechende Musik, die den Zuhörer in die passende Stimmung versetzt. Wer es genauer wissen will wie das funktioniert, soll einen Musikwissenschaftler fragen oder bei Hegel (http://www.textlog.de/3421.html) nachlesen.

"Ok, wenn man das sich schönreden der Verhältnisse als Genuss bezeichnet dann hast du wohl recht." Schönreden ist Ideologie. Da geht es drum sich die Realität gemäss dem eigenen Interesse zu deuten. Die Kunst geht hingegen schon von der Ideologie aus und beruht darauf, dass jeder sie kennt. Ihr Zweck besteht darin, sie auf einer abstrakten Ebene (das heißt es wird was wegelassen, weswegen es blöd wäre wenn du jetzt mit dem Argument daherkommst, dass man dann die Ideologie auch aufschreiben könnte) in ein künstlerisches Medium zu übersetzen (das sind die verschiedenen Künste), damit der Betrachter, Zuhörer diesen Inhalt in dem Kunstwerk erkennt und seine Ideologie quasi in einem Stück Realität bestätigt findet. Sonst sind die Ideologieen ja bloß Gedanken in Form von Schrift, gesprochener Sprache oder Gedanken, also bloß Teil der inneren Welt. Als Kunstwerk existieren sie aber getrennt vom Individuum in der äußeren Welt und erlauben die Selbsttäuschung, dass die Welt sich nach den Gesetzen richtet, die die Ideologie behauptet. Diese Bauchpinselei der eigenen Anstrengungen sich geistig in der Welt einzurichten machen den Kunstgenuß aus.

"Ja wenn er das so sagte wärs falsch. In dem Zitat von mir aber sagt er das doch nicht." Das sagt er so. Der Artikel ist nämlich länger, als dein Auszug daraus. "An ehrgeizigem Nachwuchs fehlt es ohnehin nicht für die unendliche Fortführung des lächerlichen Schauspiels, daß die Produzenten der freiesten und luxuriösesten Unterhaltung sich dabei allen Ernstes an der Verfertigung der Botschaft abarbeiten, sie würden sich gerade - mit den Mitteln der Phantasie und ihrer Genüsse - an den wichtigsten weltanschaulichen Sinnfragen abarbeiten. " Deutlicher kann man wohl nicht sagen, dass man geistige Genüsse und weltanschauliche Botschaften für unvereinbar hält.

Das war dann wohl ein leeres Versprechen mit den anderthalb Wochen.
Bis jetzt eher 9 1/2 Wochen.

Wenn du keine Lust zum Diskutieren hast, warum schwallst du dann das Forum voll. Les doch die Überschrift da steht: Stichwort: Gefühl und Verstand und nicht die Ableitung der Jazzmusik aus dem Kapitalismus. Verstehst du, was mich richtig nervt, sind Leute die Alibidiskussionen zu Themen führen, die sie nicht die Bohne interessieren. Da sind mir die Schweiger noch lieber, da weiß man wenigsten, woran man ist. Aber höfliches Interesse vorzugaukeln wo keins ist, ist eine Zeitverschwendung für beide Seiten.

" "Auch Gefühle haben einen Inhalt" - dem kann ich nach der Lektüre des Artikels nur zustimmen, was mir das aber in der konkreten Diskussion sagen soll ist mir schleierhaft." Vielleicht ist das ein Gegenargument gegen die Behauptung der Inhaltslosigkeit von Kunst, die immer mit Musik und anderen Standardbeispielen belegt wird. Da kommst du mit so Zweizeilern an, die einer Gretchenfrage gleichen: "Und wie stets mit dem Inhalt der textlosen Musik?" (sinngemäß) Sag ich der Inhalt von Musik sind Gefühle und die sind nicht inhaltslos, siehe Gefühl und Verstand. Sagst du nach zwei Monaten: Oh, jetz hab ich den Faden verloren. Was stand da überhaupt drin? Und irgendwie bin ich enttäuscht! Kann man sich eigentlich einen neuen Verstand kaufen, wenn der im Urlaub abhanden gekommen ist und wie siehts dann mit den Gefühlen aus. "Ich war etwas enttäuscht vom Text." Deine Seelenzustände beim Lesen eines Textes interessieren mich nun überhaupt nicht. Da kannst du von mir aus ein Musikstück drüber machen.

"Wenn das so ist dann müsste man doch das Gefühl das man beim Jazz hat irgendwie bei der Ideologieproduktion des Kapitalismus bzw. der Individuen wiederfinden?" Nein Kunst ist keine Ideologie und sollte daran auch nicht gemessen werden, sondern Genuss eines fantastischen Inhalts, der ideologisch sein kann. Im Falle der Musik besteht der fantastische Inhalt eben aus Seelenzuständen, die einem bürgerlichen Seelenhaushalt entspringen. Und so ist das auch beim Jazz. Durchdeklinieren kann und will ich das aber nicht, weil ich mich im Jazz zu wenig auskenne, um das plausibel hinzukriegen. Dass es aber in der Musik nicht um "reine" Gefühle gehen kann, die abgehoben von der gesellschaftlichen Realität entstehen, soviel dürfte der Artikel über Gefühl und Verstand gebracht haben.

"Das mit den Seelenzuständen kann ich gleich zurückgeben." Nerv mich nicht mit deiner Gefühlslage, dann nerv ich dich auch nicht mit meinem Genervtsein. "Dann benutze ich dir zu Ehren vielleicht die Noten S-c-h-a-m..." Weil dein Gefühl beim lesen des Textes Scham war? Ich dachte Enttäuschung. Oder wolltest du auf irgendeine merkwürdige Weise zum Ausdruck bringen einer von uns sollte sich schämen. Ach nee. Ich will's eigentlich gar nicht wissen. S und m gibt es übrigens nicht als Noten, du Komponist.

"Bitte bitte nenn mir ein Beispiel wo das dann deiner Theorie nach nicht ist!" Brechts Kunst ist zu großen Teilen nicht rechtfertigend. Das hängt aber auch gar nicht am Beispiel. Nicht alles Denken ist Ideologie also gibt es auch kein Zwang für die Kunst ideologisch zu sein. Ich wollte auch gar nicht abstreiten, dass Kunst ideologisch sein kann, (dann ist sie immer noch ideologische Kunst und keine verkappte künstlerische Ideologie) im Gegenteil. Sie kann bloß ideologisch sein, wenn man revidiert, dass sie leeres Getue ist. Sie kann nicht gleichzeitig ideologisch und inhaltslos sein.

"Und: es muss nicht am Jazz durchdekliniert werden, aber irgendwo sollte es schon gemacht werden, und wenns auch nur als "methodisches Gerüst", also als: so könnte man es herleiten, ist. " Also methodisch: Man bestimmt das Gefühl bzw. die Stimmung, die mit einem Musikstück transportiert wird. Manchmal heißt das Stück sogar so z.B. Mood indigo. Dann weist man nach inwiefern das ein Stück ist, das die Gefühlslage bürgerlicher Subjekte wiederspiegelt. Auch in der Weise des Zusammenspiels kommt sicherlich ein bürgerliches Freiheitsverständnis zum Ausdruck. Einerseits gibt es das solo, das freier Ausdruck der Subjektivität zu einem im Musikstück vorgebenen Thema darstellt. Das Solo findet aber immer wieder zurück und verselbständigt sich nicht völlig, sondern nimmt sich wieder zurück, um einer anderen Stimme das Zepter zu überlassen, die wiederum auf ihre Weise das Thema variiert. Dann gibt es auch noch den Wettkampf, die Konkurrenz sozusagen, wo verschiedene Solisten sich abwechseln und versuchen sich gegenseitig in Virtuosität und musikalischem Einfallsreichtum zu überbieten. Trotzdem klingt alles noch irgendwie zusammen, also ist es auch eine Subjektivität die sich in ihrer Freiheit gleichzeitig unterordnet.

"Also sagen wir mal, atonale Musik, experimentelles Gedudel und Geklimper?" Dann ist das wohl auch kein Jazz, sondern was anderes und dann ist der Inhalt halt auch was anderes.

"Der einzige Inhalt dieser "Musik" ist dann nur noch ihre experimentelles Zustandekommen, also das, dass sie sich im Prinzip an gar nichts "hält", woran sich alle anderen Musiken halten, nämlich an ein sinnvolles Konstrukt namens Komposition." Es gab zwar immer Kunstrichtungen, die die Negativität zum Programm hatten, wie etwa Dadaismus oder Marcel-Duchamps ready-mades. Das heißt aber nicht, dass diese keinen Inhalt haben. Dann ist eben dieses negative Programm der Inhalt. Nichtkunst zu machen ist dann der Inhalt der Kunst. Was eine ziemlich methodische Stellung oder Selbstreflektion der eigenen Kunstproduktion ist, die man den Werken auch anmerkt. Die sind dann eben nicht besonders sinnlich (wie z.B. die Impressionisten), weil darin ihre eigene Stellung zur Kunst der Inhalt der Kunst ist (zumindest zum Teil).

"Ist bei solcher Musik, die vollkommene Subjektivität erreicht, oder eher vollkommene Verblödung, weil sie alles auslöscht was Musik ausmacht?" 1. Meinst du denn das schließt sich aus. Es kommt doch auf den Inhalt der Subjektivität an, auch wenn sie vollkommen ist. 2. klingt das banausenhaft (im Sinne von ignorant). Bloß weil etwas schräg klingt, heißt das doch nicht, dass da Verblödung vorliegt oder der Komponist sich nichts gedacht hat. 3. Mit vollkommener Subjektivität wäre ich in der Demokratie vorsichtig, weil irgendwie immer alle verantwortliche Staatsbürger sind, die meinen in ihrer völligen Freiheit die besten Diener des Allgemeinwohls zu sein. Da gibt es dann natürlcih immer verschiedene Auffassungen, wie weit die Freiheit gehen darf und Konkurrenten meinen dann schon mal in durchaus diffamierender Absicht, dass da vaterlandslose Gesellen am Werk sind, (das genaue Argument lautet in jeder Kunstsparte natürlich ein bißchen anders, aber im Prinzip läuft es darauf hinaus) die sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung entziehen. Ist aber nicht so.