Scheinbar wurde es hier schon herauf- und herunterdekliniert, aber ich wollte trotzdem meine Auffassung zur Debatte stellen. Es geht um die beiden Positionen, den bürgerlichen Staat als Subjekt mit seiner Räson der Machtvermehrung oder den Staat als Mittel im Funktionalismus kapitalistischer Reproduktion zu verstehen:
Was ist die allgemeinste inhaltliche Bestimmung des bürgerlichen Staates? Die Staatsableitungsdebatte hat unterschiedliche Formanalysen des modernen Staates vorgestellt, über den Inhalt jener politischen Herrschaft gibt es gröbste Einigkeit: es ist sein Klassencharakter. Der Rechtsstaat (Form) ist Klassenstaat (Inhalt). Wegen seiner Besonderung ist nun der inhaltliche Zusammenhang des Staates mit der wirtschaftlichen Ausbeutung zu erklären.
Der bürgerliche Staat organisiert die freie Konkurrenz von Privateigentümern (Form), die wiederum ein Klassenverhältnis einbegreift, in welchem mittellose Lohnabhängige von den Besitzern der Produktionsmittel ausgebeutet werden (Inhalt). Die politische Herrschaft erfüllt aber nicht einen funktionalistischen Selbstzweck der kapitalistischen Ökonomie, sie hat nicht einfach den Zweck den Kapitalismus zu reproduzieren – auch wenn dies die Bedingung der Staatsräson ist –, sie ist nicht Mittel der Einzelkapitale zur Konstitution und Aufrechterhaltung des (abstrakten) Gesamtkapitals, sondern sie ist ein eigenes Subjekt. Ein Subjekt, das nicht nur am Erhalt eigener Macht und an der entsprechenden Aneignung der nötigen Mittel durch Enteignung der Bürger interessiert ist, sondern ein Subjekt, welches notwendig Machterweiterung anstrebt. Dafür greift der Staat den Löwenanteil des Sozialprodukts aus der Ökonomie ab, deshalb organisiert er also auch den gesamtwirtschaftlichen Erfolg, die Kapitalakkumulation an seinem Standort, schafft dafür die nötigen Bedingungen der Freiheit und fördert die produktive Geldmacherei.
Die Machterweiterung (statt einfacher, stationärer Reproduktion) als Staatsräson der bürgerlichen Herrschaft ist deshalb notwendig, da erstens seine Reichtumsquelle, die kapitalistische Ökonomie aus ihrer Eigendynamik heraus Reichtumsvermehrung verfolgt und sogar verlangt. Allein um den Reproduktionsaufgaben gerecht zu werden, muss und kann (bei wirtschaftlichem Erfolg) der Staat seinen politischen Apparat dem wirtschaftlichen Fortschritt entsprechend aufrüsten. Unweigerlich entsteht zudem aus dem Bereicherungsinteresse der kapitalistischen Wirtschaftsagenten der Bedarf nach Geschäftsgelegenheiten außerhalb nationaler Grenzen – ob es nun bei Geschäftserfolg im hiesigen Land am Vorhandensein von Anlagesphären für überschüssige Gewinne, Kaufkraft für überschüssige Waren oder Ressourcen wie Vorprodukten für eine erweiterte Produktion mangelt. (Dieser innerliche Zugzwang unterscheidet den kapitalistischen Staat von vorkapitalistischen Herrschaftsformen, die immanent gar nicht die Vermehrung von Macht anstreben mussten – aber konnten –, da ihre Produktionsweise stationären Charakter aufweist – indessen unterlagen sie historisch oft externen Bedrängnissen und waren deshalb zur Behauptung genötigt.) Und der Machtzuwachs ist zweitens notwendig, da der moderne Staat nicht isoliert vorliegt, sondern (der immanenten Wachstumsdynamik entsprechend) sich in eine internationale Konkurrenz der Kapitale und der Staatenwelt verwickelt. In diesem globalen Wettbewerb kann der Staat sich aber nur imperialistisch behaupten, wenn er seinen nationalen Wirtschaftsstandort konkurrenzfähig hält und wenn er den Machtmitteln anderer Herrschaften politisch (bis militärisch) Paroli bieten kann, wobei die Gewaltmittel logischerweise wiederum aus den Wachstumsresultaten finanziert werden müssen. Für die Wettbewerbsfähigkeit sind wie erwähnt zugleich Wachstumsgelegenheiten anderer Nationen, organisiert über Weltmarktbeziehungen, nötig, während die politische Behauptung im Umkehrschluss vorteilhaftere Handelsbedingungen durch politische Erpressung erwirken kann.
Vorerst ein kurze Reaktion, damit du weißt, dass ich deinen Beitrag zu Kenntnis genommen habe. Später noch ausführlicher. Es scheint dir in erster Linie nicht um die Staatsableitung zu gehen, sondern das was bei der alten MG in den Imperialismusbüchern steht.
Warum wendet sich der Staat nach außen? Warum geht es ihm um Machterweiterung? Dabei halte ich deinen zweiten Punkt Nationenkonkurrenz für grundlegender und historisch auch älter. "In diesem globalen Wettbewerb kann der Staat sich aber nur imperialistisch behaupten, wenn er seinen nationalen Wirtschaftsstandort konkurrenzfähig hält und wenn er den Machtmitteln anderer Herrschaften politisch (bis militärisch) Paroli bieten kann,..."
Daher halte ich dein Urteil, dass die "vorkapitalistischen Herrschaftsformen, (die) immanent gar nicht die Vermehrung von Macht anstreben mussten – aber konnten –, da ihre Produktionsweise stationären Charakter aufweist" für verkehrt. Meines Erachtens leitet sich dieser "Drang nach Erweiterung der Macht" nicht in erster Linie aus der Ökonomie ab, - dann wäre der Staat ja ein getriebener wirtschaftlicher Kräfte - sondern daraus dass er Staatsgewalt ist, bzw. daraus dass Staatsgewalten aufeinandertreffen. Es ist eine Konsequenz des Staatsgewalt seins, nur indirekt eine Konsequenz des Kapitalismus seins. Soviel als erste Reaktion.
Ehrlich gesagt weiß ich nicht so recht worin du mir genau widersprichst. Du behauptest, das Bedürfnis nach Machtzuwachs leite sich nicht "in erster Linie" aus der Ökonomie ab. Aber was soll die Rangordnung (Außenpolitik über Ökonomie) bedeuten, in welchem Verhältnis sollen die beiden Momente stehen? Mir ist jedenfalls keine Begründung für deine Rangordnung in deiner Argumentation aufgefallen, die ich für haltbar halte. Du nennst da eigentlich nur ein Argument, dies zudem nur in Gedankenstrichen:
Zitat von Krim im Beitrag #2... dann wäre der Staat ja ein getriebener wirtschaftlicher Kräfte ...
Naja, man kann die Abhängigkeit des bürgerlichen Staates von seiner Ökonomie denke ich kaum leugnen. Wie bereits erwähnt, seinen politischen Apparat muss er bspw. entsprechend der wirtschaftlichen Entwicklung aufrüsten. Und auch Wirtschaftskrisen gefährden aufgrund der Zersetzung seiner materiellen Basis seinen Machtzuwachs, ja sie können sogar seine Existenz bedrohen usw. In diesem Sinne ist der kapitalistische Staat sehr wohl "getriebener wirtschaftlicher Kräfte" - aber natürlich nicht bloßes Resultat der Ökonomie, was auch nicht behauptet wurde (oder werden müsste, um den Drang nach Herrschaftszuwachs zu begründen).
Was mir dazu noch einfällt, ist die Poition des GSPs. Soweit ich es verfolgen konnte, wird dort eine Art Verlockungsthese für (historische) Herrschaftsformen behauptet, die (wie auch immer?) von sich selbst aus immer schon den Drang nach mehr Reichtum und mehr Herrschaft hätten. In meinen Augen ist diese These eine bloße Behauptung ohne Begründung. Ich habe nun versucht eine Begründung für den "Drang" nach Machtvermehrung seitens der Herrschaftsgebilde zu liefern.
Zitat"Die politische Herrschaft erfüllt aber nicht einen funktionalistischen Selbstzweck der kapitalistischen Ökonomie, sie hat nicht einfach den Zweck den Kapitalismus zu reproduzieren – auch wenn dies die Bedingung der Staatsräson ist –, sie ist nicht Mittel der Einzelkapitale zur Konstitution und Aufrechterhaltung des (abstrakten) Gesamtkapitals, sondern sie ist ein eigenes Subjekt."
Bloß wieso ist die Staatsgewalt ein eigenes Subjekt? Vielleicht widerspricht das ja dem Funktionalismus für die kapitalistische Ökonomie gar nicht, sondern entspricht ihm. Vielleicht muss der bürgerliche Staat Subjekt sein, um seine Dienste für die kapitalistische Gesellschaft verrichten zu können.
Zitat" Ein Subjekt, das nicht nur am Erhalt eigener Macht und an der entsprechenden Aneignung der nötigen Mittel durch Enteignung der Bürger interessiert ist, sondern ein Subjekt, welches notwendig Machterweiterung anstrebt."
Du beschreibst einen Zustand: Der Staat ist ein Subjekt, welches notwendig Machterweiterung anstrebt. Das kann ich jetzt glauben oder nicht. Sein Subjektsein, ist jedenfalls nicht der Grund dafür. Dann müsste ja jedes Subjekt Machterweiterung anstreben. Im folgenden begründest du die Machterweiterung nicht weiter, sondern sagst er würde sich deswegen an der Gesellschaft bedienen. Muss er sich bei einfachem Machterhalt nicht an der Gesellschaft bedienen? Dann sagst du noch er würde den wirtschaftlichen Erfolg wegen der Machterweiterung wollen. Hm. Als bloße politische Gewalt der kapitalistischen Gesellschaft will er also nicht den wirtschaftlichen Erfolg?
Im nächsten Absatz folgt dann eine Begründung der Machterweiterung: Seine Reichtumsquelle, die kapitalistische Ökonomie verfolgt und verlangt aus ihrer Eigendynamik heraus Reichtumsvermehrung. Also liegt es doch an der Ökonomie. Was aber hat Reichtumsvermehrung mit Machterweiterung zu tun. Das ist ja nicht dasselbe. Also müsstest du hier den Zusammenhang noch nachliefern.
Zitat "Allein um den Reproduktionsaufgaben gerecht zu werden, muss und kann (bei wirtschaftlichem Erfolg) der Staat seinen politischen Apparat dem wirtschaftlichen Fortschritt entsprechend aufrüsten."
Welchen Reproduktionsaufgaben denn? Der Staat reproduziert nur sich und den Reichtum dafür holt er aus seiner Gesellschaft. Meinst du der Staat müsse seine Macht erweitern, um seiner prosperierenden Gesellschaft Herr zu werden? also z.B. die Polizei personell aufstocken, weil die Wirtschaft floriert und die Kriminalität steigt. Hm. Ich glaube eigentlich nicht, dass er seine Macht erweitern will, damit er mit dem wirtschaftlichen Erfolg seiner Gesellschaft Schritt halten kann. Falls das so gemeint sein sollte.
Zitat "Unweigerlich entsteht zudem aus dem Bereicherungsinteresse der kapitalistischen Wirtschaftsagenten der Bedarf nach Geschäftsgelegenheiten außerhalb nationaler Grenzen – ob es nun bei Geschäftserfolg im hiesigen Land am Vorhandensein von Anlagesphären für überschüssige Gewinne, Kaufkraft für überschüssige Waren oder Ressourcen wie Vorprodukten für eine erweiterte Produktion mangelt."
Ja so ungefähr geht die Imperialismustheorie des GSP.
"Und der Machtzuwachs ist zweitens notwendig, da der moderne Staat nicht isoliert vorliegt, sondern (der immanenten Wachstumsdynamik entsprechend) sich in eine internationale Konkurrenz der Kapitale und der Staatenwelt verwickelt." Nicht nur der moderne Staat liegt nicht isoliert vor. Das war auch vor dem bürgerlichen Staat so und bekanntlich gab es auch schon vor dem Kapitalismus eine Staatenkonkurrenz. Wieso du jetzt wieder die Kapitale und die Staaten in Bezug auf die Konkurrenz gleichsetzt ist mir etwas schleierhaft. Als gäbe es d i e Konkurrenz, als hätte die nicht immer einen konkreten Inhalt.
Zitat "In diesem globalen Wettbewerb kann der Staat sich aber nur imperialistisch behaupten, wenn er seinen nationalen Wirtschaftsstandort konkurrenzfähig hält und wenn er den Machtmitteln anderer Herrschaften politisch (bis militärisch) Paroli bieten kann, wobei die Gewaltmittel logischerweise wiederum aus den Wachstumsresultaten finanziert werden müssen."
Ja, dem stimme ich zu.
Zitat" Wie bereits erwähnt, seinen politischen Apparat muss er bspw. entsprechend der wirtschaftlichen Entwicklung aufrüsten. "
Du stellst das so dar, als würde der Staat der wirtschaftlichen Entwicklung entsprechend mit seinem Machtzuwachs hinterhereilen. Das entspricht aber nicht nicht der Realität. Eher ist es doch so, dass der Staat den Weg für sein Kapital im Ausland ebnet. Also kann Machterweiterung des Staates nicht die Folge wirtschaftlichen Erfolgs sein.
Die Schwäche deiner Argumentation besteht meines Erachtens darin, dass du gleich mit Machterweiterung anfängst, statt erst zu bestimmen, worin die Macht des (bürgerlichen) Staates besteht, bzw. was das eigentlich ist. Meine Idee ist, dass sich aus dem was die Macht eines Staates ist, sich die Erweiterung der Macht als Konsequenz ergibt. Die sieht dann bloß je nach ökonomischer Grundlage etwas anders aus. Und so kann dann aus deinen beiden Gründen (erstens und zweitens) für Machterweiterung, dann auch mehr werden als eine Aufzählung.
Ok. Anscheinend besteht hier kein Interesse an Fortführung der Debatte. Trotzdem noch einige Gedanken zum Eingangstext. Dort wird gefragt: Was ist die allgemeinste inhaltliche Bestimmung des bürgerlichen Staates? Die Antwort lautet: "Es ist sein Klassencharakter." Damit bin ich nicht einverstanden. Der Klassencharakter ist der Inhalt der bürgerlichen Gesellschaft aber gerade nicht des Staates., Nicht der Staat ist in Klassen aufgeteilt, sondern die Gesellschaft. Der Staat reproduziert die Klassen nur z.B. und an erster Stelle dadurch, dass er sie gleich behandelt und sie unterschiedslos seiner Gewalt unterwirft. Dadurch legt er die Einzelnen auf ihr Eigentum fest. Die einen haben nichts außer ihrer Arbeitskraft. Die anderen haben Kapital.
Die abstrakteste inhaltliche Bestimmung des Staates ist erstmal die Bestimmung Staatsgewalt, also Gewalt, zu sein. Und seine zweite Bestimmung ist, die politische Gewalt der kapitalistischen Gesellschaft zu sein. Weil er zweites ist beaufsichtigt er ein gegensätzliches Klassenverhältnis.
Zitat"Der bürgerliche Staat organisiert die freie Konkurrenz von Privateigentümern (Form), die wiederum ein Klassenverhältnis einbegreift, in welchem mittellose Lohnabhängige von den Besitzern der Produktionsmittel ausgebeutet werden (Inhalt). "
Form und Inhalt wovon? Des Staates? Die Freie Konkurrenz soll die Form des Staates sein? Nein. Es ist die Form wie die Ökonomie geht. Alles sind Privateigentümer. Arbeiter, Kapitalbesitzer, Grundrenter . Alle treffen sich auf verschiedenen Märkten und konkurrieren. Ausbeutung ist ebenfalls der Inhalt der Ökonomie, und nicht des Staates. Der Staat beutet ja keinen aus. Er macht seiner Gesellschaft Vorschriften, die der Ausbeutung dienen. Das ist ein Unterschied. Er schafft die gewaltmäßigen Grundlagen damit Ausbeutung stattfinden kann.
Zitat"Naja, man kann die Abhängigkeit des bürgerlichen Staates von seiner Ökonomie denke ich kaum leugnen."
Eine Abhängigkeit festzustellen ist aber etwas anderes als den Zusammenhang von Staat und Ökonomie zu erklären. Wie ist er denn Abhängig? Abhängig ist mir da einfach eine sehr oberflächliche Bestimmung. Sie sagt bloß, dass es einen unauflöslichen Zusammenhang gibt.
Zitat"Soweit ich es verfolgen konnte, wird dort eine Art Verlockungsthese für (historische) Herrschaftsformen behauptet, die (wie auch immer?) von sich selbst aus immer schon den Drang nach mehr Reichtum und mehr Herrschaft hätten."
Ich denke nicht, dass das die Imperialismustheorie des GSP wiedergibt.
Hier mal der § 1:
ZitatDie Überwindung der Schranken nationaler Akkumulation durch die Wendung der Staatsgewalt nach außen Durch die ordnenden und die Funktion der verschiedenen Klassen gewährleistenden Maßnahmen des bürgerlichen Staates wird die gesamte Gesellschaft zum Mittel für die Akkumulation des Kapitals. Die faux frais der politischen Herrschaft lohnen sich für diese Produktionsweise im Unterschied zu früheren, weil die Zurichtung der Bürger die Schranken ihrer Brauchbarkeit für das Privateigentum beseitigt. Doch weist gerade die sozial- und wirtschaftspolitisch bewerkstelligte Akkumulation des Kapitals, ihr durch die Wechselfälle der Konjunktur gesichertes Gelingen auf die Grenze hin, die dem Wachstum des nationalen Reichtums mit seiner staatlichen Organisation gezogen sind: das politische Subjekt der Ökonomie kann letzterer nur in dem Maße dienstbar sein, wie sein Gewaltmonopol reicht. Der Einsatz der staatlichen Gewalt auch außerhalb des Territoriums ihrer Herrschaft ist unerläßlich, sollen die Mittel der Akkumulation nicht auf die natürlichen Reichtümer des eigenen Herrschaftsgebietes reduziert bleiben. Fremde Herrschaftsgebiete mit den in ihnen hervorgebrachten Reichtümern werden als Quellen der nationalen Bereicherung behandelt, indem der bürgerliche Souverän den anderen Staat anerkennt, ein Rechtsverhältnis mit ihm eingeht, um durch den Austausch von Produkten über die Staatsgrenzen hinweg die Stufenleiter der Akkumulation zu erweitern.
Forum Kapitalismuskritik
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17.08.2020 11:27
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